Während meines mehrjährigen Aufenthaltes in Mexiko hatte ich die Möglichkeit, viel durch das Land zu reisen, auch abseits von touristischen Pfaden. Infolgedessen lernte ich nicht nur Land, sondern auch einzelne Menschen, Bräuche und Sitten näher kennen. Meine Reiseziele waren Destinationen, die mir mexikanische Arbeitskolleg- Innen und hiesige Freunde empfohlen haben. So konnte ich den einen oder anderen Winkel Mexikos für mich entdecken und schätzen lernen. Eines Tages verschlug es mich in ein Bergdorf, das keineswegs unbekannt ist. Es nennt sich San Cristobál de las Casas, kurz San Cristobál. Für mich persönlich eines der schönsten Dörfer Mexikos. Für unsere österreichischen Größenordnungsverhältnisse vielleicht auch eine Stadt: Rund 140.000 Einwohner- Innen leben in dieser auf 2100 m Höhe gelegenen „Dorfstadt“, die im zentralen Hochland Chiapas liegt. Chiapas wiederum befindet sich im Südosten Mexikos, an der Grenze zu Guatemala. Für MexikotouristInnen ein unverzichtbarer Halt auf dem Weg von Mexiko Stadt Richtung mexikanischer Karibik. In San Cristobál angekommen, hatte ich meine Kamera schon gezückt und begann unbekümmert darauf los zu knipsen.
Die Kolonialarchitektur ist beeindruckend schön. Das Bunte in den Straßen erscheint schon fast kitschig und die Gerüche sind berauschend. Es duftet nach frisch gemahlenem Kaffee, getrockneten Kräutern, Tacos und gekochtem Mais. Meine Kamera lechzte nach dem Foto des Tages. All diese Eindrücke mussten bildlich festgehalten werden. Ein Augenblick nach dem anderen wurde in meiner Kamera eingefangen. Obwohl ich beim Fotografieren von fremden Menschen von Natur aus zurückhaltend bin, scheute ich mich in diesem Moment nicht, die Geschichten der indigenen Bevölkerung Chiapas einzufangen. Besser gesagt: ihre Gesichter. Und ihre unverwechselbaren Gesichtsausdrücke. Diese Augen, die ganze Geschichtsbücher füllen könnten. Unerwartet wird es laut um mich herum. Die Dorfbewohner und Dorfbewohnerinnen wenden sich von mir ab. Es wird immer lauter. In dieser Geräuschlawine vermittelten mir einige der DorfbewohnerInnen mit Bestimmtheit, meine Kamera wegzustecken. Was geschah um mich herum? Es gibt indigene Stämme im Hochland Chiapas, die davon ausgehen, dass man ihnen ihre Seele stiehlt, wenn man sie fotografiert.
Andere DorfbewohnerInnen, die keine Angst haben, dass ihre Seele gestohlen wird, nutzen dies, um ihren Geldbeutel etwas aufzubessern. Das heißt, ein Foto für rund 50 Cent. Dies wiederum bedeutet, in Bilder festgehaltene Erinnerungen können bei einem mehrtägigen Aufenthalt etwas teuer werden. Als fotografierende/r TouristIn sollte man ohnehin mit dem Fotoapparat sehr sensibel umgehen und nicht mit der „Brechstange“ versuchen die DorfbewohnerInnen zu fotografieren und sie in ihrer Privatsphäre belästigen. Hier muss jeder Gast selbst die Entscheidung treffen.