Libelle: Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben für das Interview. Sie sind Moderator der Sendung „Klingendes Österreich“. Was bedeutet eigentlich der Begriff „Heimat“ für Sie?
Forcher: Ja, Heimat, das kann man einfach beantworten. Dort, wo man sich wohl fühlt und – wenn man davon getrennt ist – immer Sehnsucht hat, dorthin zurückzukommen. Es ist nicht so einfach. Eine Definition von Heimat kann man von verschiedenen Seiten angehen. Für mich ist es einfach die Umgebung, in der ich mich wohlfühle. Wo Menschen sind, mit denen ich mich gut vertrag‘. Vor allen Dingen ist es wichtig, dass – wenn man länger fort ist – man das Gefühl hat: Jetzt möch‘ ich wieder heim. Ich bin sehr viel und gern unterwegs. Seit vierzig Jahren sind wir zum Beispiel über Weihnachten wochenlang in der Schweiz – wunderschöne Berggegend in Graubünden. Wenn ich hier beim Fenster rausschau, sehe ich keine Berge. Aber ich weiß, dass sie da sind. Und wenn ich lange weg bin, fühl ich mich wieder ungeheuer wohl, wenn ich wieder daheim bin.
Jetzt gibt‘s die Globalisierung, immer mehr Menschen ziehen herum. Lässt das nicht den Begriff „Heimat“ verschwimmen? Kann man mehrere Heimaten haben?
Also ich glaube nicht. Weil der Mensch, was seinen Platz in der Welt betrifft, nicht so sehr zur Promiskuität neigt. Ich bin Südtiroler und bin als Zehnjähriger mit meinen Eltern nach Salzburg gekommen, spreche aber heute noch, wenn ich nach Südtirol komme, meinen Heimatdialekt von damals. Aber ich bin nicht mehr „daheim“, wenn ich heute nach Südtirol komme. Ich fühle mich wohl, habe Verwandte dort, aber ich könnte nicht sagen, dass das meine zweite Heimat wäre.
Wenn die Politik den Begriff „Heimat“ in den Mund nimmt, kommt das meist aus einer bestimmten politischen Richtung. Wird der Begriff heute missbraucht? Wenn man zum Beispiel an bestimmte Wahlplakate denkt.
Die Zeiten sind vorbei, wo man politisches Geschäft mit dem Begriff gemacht hat. Ich kann das verstehen, wenn‘s um landwirtschaftliche Erzeugnisse geht. Dass man sagt: Leute, denkt dran, ihr seid Steirer und Styria-Beef ist halt das beste Fleisch. Oder ihr seid Oberösterreicher, denkt an den Schärdinger-Käse. Aber dass man damit Wählerstimmen fangen kann, dafür ist meiner Meinung nach die Zeit nicht mehr gegeben.
Es gibt ja schon Tendenzen in Richtung „Ausländer raus“.
Das ist wieder etwas ganz anderes. Das hat sehr viel mit Neid zu tun. Weil jeder, der ungebeten zu uns kommt, uns – so glauben manche – ein Stück von der Heimat streitig macht. Dass der, der zu uns kommt, vielleicht seine Heimat verlassen hat und ungern verlassen hat, das wollen wir nicht so wahr haben.
In der Zeitschrift „Datum“ ist ein Interview mit Ihnen, wo Sie sehr offen über Ihre Vergangenheit, die Hitlerjugend und die NS-Zeit sprechen. Glauben Sie, dass die Verführung der Jugend, die damals stattgefunden hat, heute wieder möglich wäre?
Das ist immer möglich. Die schlechten Dinge, zu denen die Menschheit fähig ist, seit sie existiert, lassen sich immer wieder aufwecken. Da bin ich kein Zweckpessimist, sondern bin überzeugt davon. Es hängt nur von gewissen Konstellationen ab. Solange ein Volk im Wohlstand lebt, ist der einzige Feind die Dekadenz. Unter der leiden wir derzeit etwas, aber es ist noch erträglich. Nur, wenn‘s zu viele Arbeitslose gibt, wenn soziales Elend dazukommt, dann ist der Demagogie wieder Tür und Tor geöffnet.
Ihre Sendung zeigt Österreich in schönen Bildern. Besteht die Gefahr, dass man die Heimat etwas verkitscht?
Wer mir unterstellt, dass ich Österreich verkitsche, reibt bei mir am Watschenbaum! (lacht) Die Volksmusik ist eine Musikform, ohne die eine Wiener Klassik gar nicht möglich gewesen wäre. Ein Schönberg, ein Webern, ein Bartok, ein Kodaly, ein Mahler hätten keine Note geschrieben, wenn‘s keine Volksmusik gegeben hätte.
Mit ihrer Sendung waren Sie auch schon in Südtirol und Bayern. Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie auch andere Länder bereisen? Dass man zum Beispiel Volkskultur in benachbarten Ländern zeigt?
Nein. Warum ich nach Südtirol fahre, liegt in der Tiroler Landesverfassung begründet. Wo‘s im Artikel eins heißt: Südtirol ist ein unbeschadet politischer Grenzen ständiger Bestandteil des Landes Tirol. Und als Südtiroler ist das für mich eine Legitimation. Es war meine Bedingung, als ich mit „Klingendes Österreich“ angefangen habe, einmal im Jahr nach Südtirol zu fahren. Das ist die Verbeugung vor meiner alten Heimat. Bayern hat historische Gründe. Wenn man bedenkt, dass das Innviertel vor 250 Jahren noch zu Bayern gehörte und der Rupertiwinkel vor 200 Jahren zu Salzburg, dann bekommt man einen anderen Blick. Oder Passau: der Passauer Bischof war ein Suffragan des Salzburger Erzbischofs.
Ich könnte mir Slowenien vorstellen mit der Krainer-Musik.
Ich war in Slowenien und zwar in den Steiner Alpen. Das war ja das Kronland Krain. Bergsteigen war ich natürlich auch in den Julischen Alpen. Dort kenne ich eine Gruppe, die diese Oberkrainische Musik machen, die ich sehr schätze – allerdings nicht, wenn sie singen. Gesungen ist das ein furchtbarer Slang und hat viel beigetragen zum Missverständnis der Volksmusik und Entstehung der volkstümlichen Musik.
Wir haben über Heimat und nationale Kultur gesprochen. Vereint oder trennt das mehr?
Man darf das nicht so großzügig, so universitär betrachten. Man braucht nur an ein Tal bei uns in den Alpen denken, wo der eine Ort schon anders spricht als der Nachbarort. Wo die Idiome von Ort zu Ort unterschiedlich sind, wo Vorurteile ewig sind. Wo man sagt: mit den Kindern von dem Nachbarn brauchst du nicht spielen, weil der hat mit unserem Großvater mal irgendeine Gemeinheit gehabt. Dieses kleinräumige Denken wird nur zugedeckt durch die kirchliche Tradition.
Wenn man in einer Musikgruppe ist, sieht man viel von der Welt. Das ist doch eigentlich ein verbindendes Element.
Musik ist im besten Sinne eine Weltschöpfung, eine Gottesgabe sondergleichen, in jeder Form. Da lass ich auch die volkstümliche Musik, die im „Klingenden Österreich“ keinen Eingang findet, gelten, als verbindendes Glied.
„Klingendes Österreich“ ist eigentlich eine Sendung, die im heutigen Fernsehen nicht funktionieren dürfte. Sie ist unaufgeregt, mit langen Kamerafahrten, bodenständig und nimmt sich die Zeit – sie ist nicht hektisch. War es schwierig, das Konzept umzusetzen? Es ist ja seit 1986 mehr oder weniger gleich.
In den ersten fünf Jahren haben noch viel mehr Leute mitgeredet. Seit 21 oder 22 Jahren habe hauptsächlich ich das Sagen und da geschieht eben das, was ich mir vorstelle. Die Texte, die von mir gesprochen werden, sind meine Texte, die auch nicht vorgeschrieben werden. Der Text muss aus dir selbst kommen und als Vater muss er deine Überzeugung und dein Wissen haben. Das ist nicht für jeden so leicht. Man muss sich identifizieren – das tue ich im weitesten Sinn mit Österreich, weil ich begeisterter und überzeugter Österreicher bin. Ich finde, all das, was von mir gezeigt wird, hat Authentizität. Auch, was ich dazu sage. Und genauso ist es mit der Volksmusik. Die langen Kamerafahrten und mein langsames Sprechen braucht man, damit die Leute mitkommen. Sie müssen überlegen: wenn jemand schnell spricht, was bleibt da im Hirn hängen? Genauso viel, wie ausgesagt wurde: ein Schaas!
„Klingendes Österreich“ richtet sich nicht dezidiert an ein jüngeres Publikum. Vor dem Interview fragte ich jüngere Leute über Sie: Jeder kennt Sie, sie haben große Sympathien, keiner sagt was Schlechtes über Sie. Woher kommt das?
Das begegnet mir oft und macht mich sehr zufrieden. Mich sprechen die Leute nicht schulterklopfend an, sondern mit freundlichem Respekt. Das ist das Höchste, was einem passieren kann. Besser kann‘s dir nicht gehen! Ich denke, jeder Politiker beneidet mich darum. Das ist Popularität. Dessen bin ich mir schon bewusst, obwohl ich nicht danach geiere. Wenn ich eine Menschenansammlung sehe, können Sie sich sicher sein, dass ich verschwinde. Das Bad in der Menge suche ich zu vermeiden, wo‘s nur geht. Und die Helli, meine Frau, passt immer auf, wenn wir irgendwo sind und es kommt ein Autobus, sagt sie: So Alter, jetzt musst‘ verschwinden! Es ist ja nett, die Leute haben eine Freude mit mir, aber
alles hält man doch nicht aus.
Sie haben‘s erwähnt: Die Politiker beneiden Sie. Ich fand ein Interview mit Josef Cap, in dem er Sie als „österreichische Kulturidentität“ bezeichnet.
Ich schätze ihn sehr. Wird sind uns schon begegnet und ich war ganz verblüfft, weil ich zu ihm gesagt hab: Herr Cap, Sie werden einer der wenigen sein, die meine Sendung nicht kennen. Da hat er geantwortet: Täuschen Sie
sich nicht! Der weiß, was gut für Österreich ist.
Was man so hört, sind Sie nicht nur begeisterter Österreicher, sondern auch begeisterter Europäer.
Absolut! Ich bin immer gegen Vorurteile gewesen. Ich bereise heute noch Europa mit Begeisterung – ich möchte nicht darüber hinaus. Was man halt so in Nepal und in Ladakh und in Bhutan war – aber sonst bin ich mit Europa höchst zufrieden.
Sie haben eine bewegende Lebensgeschichte. Was würden Sie aus Ihrer Erfahrung heraus heute jungen Menschen raten?
Einerseits tun mir die jungen Leute ja fast leid, weil sie unter einer Überfülle von Information leiden. Deren Großeltern waren ja stolz, wenn sie alle Bände des Brockhaus erwerben konnten. Sie wurden selten benutzt, aber abgestaubt
hat man sie und die Regale wurden damit geschmückt, aber es steht alles drin. Es gibt auch heute kein Computersystem, in dem mehr drinsteht, als im Großen Brockhaus. Aber für den Gebrauch musstest du ins Wohnzimmer gehen, die Glastüren aufmachen, den großen Band runterfassen, nachschlagen – das ist ein Handling, das sehr umständlich ist. Und heute geht‘s mit einem Plättchen, da fährt man mit dem Finger drauf herum und man hat die Information. Zwei Minuten später hat man aber wieder eine ganz andere Information – und diese Fülle stimmt mich bedenklich. Im Wesentlichen ist es aber diese Überfülle an elektronischem Drumherum, das heute unser Wissen eher beeinträchtigt als fördert. Ich hab viele gute Gedanken in meinem Leben gehabt und die besten sind mir gekommen, wenn ich stundenlang am Berg unterwegs war, wo man nichts hat zum Herumspielen. Die heutige Jugend, die nicht besser und nicht
schlechter ist wie alle Jugenden vor ihr, wird aber auch mit dem fertig werden. Ich wünsche der heutigen Jugend nur das eine: Dass sie sich bewusst ist, dass wir im Frieden leben! Das hatte keine Jugend vorher.
Einwurf Helli: Und das sie wieder anfangen zu lesen!
Forcher: Natürlich, aber das kann ich nicht sagen. So viele Bücher, wie ich gelesen hab, wird selten jemand gelesen haben. Meine Beobachtungen sind diese Überfülle an Information. Da muss man differenzieren können! Wenn das einmal in die falschen Hände kommt, na frage nicht!
Da kannst du anfangen, dich zu fürchten! Sie haben in Ihrem Leben schon so viel erreicht. Wovon träumen Sie?
Früher hätte man gesagt: Von einer guten Sterbestunde! Aber das tu ich nicht! Ich bin immer noch einer, der verwirklichen möchte. Ich hab meinen Terminkalender, da steht für heuer drin: im März Kappadokien, im April Barcelona über Land – und ich muss immer die Strecken suchen, die ich noch nicht kenne. Aber das ist in Österreich für mich immer schwieriger, da muss ich Slalom fahren. Ich muss ja neugierig sein und eine Freude haben damit.