Illustration: Anna-Maria Jung
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“Jeder Troll einer zu viel”

Wie sind eure Erfahrungen mit Kommentartrollen?

Trolle sind unser täglich Brot. Wir werden täglich von mehreren tausend Menschen gelesen, jeden Tag gehen Kommentare zu den Blogposts ein, und darunter sind auch immer mal wieder Beschimpfungen, Drohungen oder feindselig-belehrendes Gewüte. Und es gibt auch sowas wie „Stammtrolle“, Leute, die immer wieder mal vorbeikommen, um uns ordentlich anzupöbeln  – manchmal unter wechselndem Namen, anscheinend überschätzen sie neben der inhaltlichen Relevanz ihrer Beiträge auch den Grad ihrer eigenen Anonymität. Ich persönlich frage mich allerdings schon noch gelegentlich, was diese Leute eigentlich dazu antreibt – immerhin nehmen sich einige sogar die Zeit, ausführliche Pamphlete zu verfassen, in denen sie uns erklären, was in unseren Leben mutmaßlich schief gelaufen ist, warum wir die Welt ganz falsch sehen, unsere Positionen entweder komplett lächerlich oder aber der Untergang des Abendlandes sind… Klassischerweise werden solche Ergüsse mit der Formel „Denkt mal drüber nach!!“ (in der Regel mit mehreren Ausrufezeichen versehen) beendet. Da wir alle Pi mal Daumen 90% unserer wachen Zeit mit Nachdenken über Dinge verbringen, ist dieser Hinweis nicht sonderlich weiterführend…

Wie hält man diese am Besten im Zaum? „Don’t feed the Troll“, angreifen oder kommentarlos löschen?

Das ist unterschiedlich: Je nachdem, wie viel Ressourcen die Moderatorin hat (in der Regel ist die Verfasserin eines Beitrags auch für die Moderation der folgenden Diskussion zuständig), wo ihre persönliche „Schmerzgrenze“ liegt, wie viel Energie für Auseinandersetzung sie gerade hat, wie viel Zeit sie sich nehmen möchte… Komplett willkürlich ist das Ganze  – anders als manche beleidigte Kommentator_innen, die nicht freigeschaltet werden, zuweilen wortreich beklagen und dabei auch gerne mit Begriffen wie „Zensur“, „Gleichschaltung“ oder „Maulkorb“ um sich werfen – allerdings mitnichten: Wir haben auf dem Blog unübersehbare Kommentarrichtlinien veröffentlicht, unsere Netiquette (dort steht übrigens auch explizit etwas zu Trollerei), und bevor ein Kommentar abgeschickt wird, sollte er im Zweifelsfall darauf hin überprüft werden, ob er gegen die Netiquette verstößt. Andernfalls, so steht dort deutlich geschrieben, wird er nicht veröffentlicht.

Bei wüsten Beschimpfungen oder Drohungen ist klar: sowas geht nicht online. Diese Kommentare werden dann an hatr.org weitergeleitet, aber nicht bei uns auf der Seite veröffentlicht. Manche Trollkommentare eigenen sich allerdings gut, um daran eine typische Art der „Argumentation“ zu demonstrieren – und wie sich die dann argumentativ auseinander nehmen lässt. Was in der Regel ja komplett einfach ist. Das ist dann im Grunde ein „Service“ für Leser_innen, die manche Diskussionen möglicherweise noch nicht so oft geführt haben wie wir und sich auf diese Weise vielleicht noch ein paar Anregungen holen können.

Das allermeiste Getrolle bleibt aber schon in der Moderationsschleife, wo alle Kommentare zunächst landen, weil wir Destruktivität nicht unnötig viel Raum geben und uns produktive Diskussionen, die alle Beteiligten weiterbringen, nicht zerschießen lassen wollen. Denn natürlich wird auf solche Kommentare heftig reagiert. Einerseits ist es natürlich ermutigend zu sehen, dass solche Positionen Gegenwind kriegen – andererseits bekommt der Troll mit seinen Anliegen dann all die Aufmerksamkeit, die ja eigentlich dem Diskussionsthema gewidmet werden sollte. Und hat damit das Trollziel par excellence erreicht.

Worin unterscheidet sich ein „Troll“ von kritischen oder „nur“ unsachlichen/ungehobelten KommentatorInnen?

Die kurze Antwort wäre: Das lehrt die Erfahrung… Generell: Kommentator_innen, die unsere Netiquette komplett missachten, lassen die Trollwarnlampen leuchten. Der Grat zwischen „einfach nur stören, pöbeln, beleidigen wollen“ und „Kommentaren, die so tun, als würden sie zur Sache reden, aber völlig am Thema und/oder an der Realität vorbei gehen“, vorgebracht in unterschiedlichen Abstufungen von Feindseligkeit, ist zuweilen schmal und manchmal mischt sich beides. Ein komplett unsachlicher Kommentar zum Beispiel erfüllt ja oftmals die zentrale Funktion von Trollerei: die Aufmerksamkeit der Anwesenden an sich reißen, Ressourcen binden, vom eigentlichen Thema weg- und zum eigenen Thema hinführen („Derailing“), miese Stimmung verbreiten, damit Diskutierende vergraulen und konstruktive inhaltliche Diskussionen verunmöglichen.

Kritische Kommentare sind hochwillkommen, weil sie uns alle weiter bringen. Allerdings nur, solange bestimmte Grundvoraussetzungen nicht in Frage gestellt werden: Es macht zum Beispiel überhaupt keinen Sinn, auf einem explizit feministischen Blog „kritisch“ darüber diskutieren zu wollen, ob nicht doch in Wirklichkeit die Männer dieser Welt viel benachteiligter sind, oder ob manche Vergewaltigungsopfer nicht doch auch irgendwie „selber Schuld“ sind. Man würde ja auch nicht eine vegane Rezeptseite ansurfen und dann erwarten, dass die Leute da Interesse daran haben, sich (zum vermutlich hundertsten Mal in ihrem Leben) erklären zu lassen, warum Fleisch essen doch viel besser ist. Und man sollte auch den betreffenden Artikel gelesen und einen Blick auf die verlinkten Webseiten geworfen haben, und gern auch auf die anderen Kommentare, bevor man sich beteiligt – das hilft ungemein, wenn man nicht als Troll, der  destruktiv am Thema vorbei redet, wahrgenommen werden möchte.

Insgesamt sind die meisten Kommentare schon so, dass wir den Eindruck haben, die Leute möchten wirklich etwas zum Thema beitragen – natürlich gehen sie sie dabei unterschiedlich vor, kommen aus unterschiedlichen „Ecken“, sind unterschiedlich informiert, benutzen auch zuweilen Begrifflichkeiten und Argumente, denen wir eigentlich auf unserem Blog keinen Raum geben wollen. Wir sind allerdings kein „safe space“, also ein Raum, der von Diskriminierung Betroffenen zusichert, von solchen Diskriminierungen verschont zu bleiben, solange sie sich dort aufhalten. Das bedeutet, dass wir zuweilen auch „grenzwertige“ Kommentare veröffentlichen, wenn sie den Gesamteindruck vermitteln, dass die_der Kommentator_in an einer konstruktiven Auseinandersetzung interessiert ist. Wir weisen dann die Person darauf hin, was uns an ihrem Beitrag problematisch erscheint, und je nachdem, wie die Reaktion auf solche Hinweise dann ausfällt, zeigt sich, wie es um die eigene Lernbereitschaft und das jeweilige „Trollpotenzial“ bestellt ist. Solche Diskussionen können ja auch für Mitlesende und andere Kommentator_innen gewinnbringend sein. Wir sehen da auch einen Bildungsauftrag, den wir wahrnehmen.

Wie hoch schätzt ihr die Trollquote ein? Gibts Unterschiede je nach Themengebiet des Blogpostings?

Eine Prozentzahl würde ich da nicht nennen wollen, das ist recht unterschiedlich. Letztendlich ist jeder Troll einer zu viel. Zumal man sich bisweilen natürlich fragt: Wie verhält es sich denn mit diesen Ansichten und in Gewaltphantasien gekleideten Hassgefühlen, die uns da bisweilen so an den Kopf geknallt werden, im großen Rest der Bevölkerung? Sicher ist die vermeintliche Anonymität im Internet ein Faktor, der bei vielen die Hemmschwelle senken mag, sowas nach außen zu tragen. Aber es ist ja extrem unwahrscheinlich, dass diese Leute ausschließlich zu uns ins Blog kommen (und an all die anderen gesellschaftskritischen Orte im Netz), um sich da Luft zu machen, sondern die sitzen höchstwahrscheinlich auch mit uns am Arbeitsplatz, im Sportverein, in der Uni, am Familientisch, unterrichten unsere Kinder, machen unsere Medien und und und. Ein Grund mehr, warum Trollerei ernst genommen gehört.

Das Trollaufkommen ist definitiv unterschiedlich hoch, je nach Thema, um das sich ein Post dreht. Am höchsten unter Trollbeschuss stehen Beiträge zu vor allem sexualisierter Gewalt – da gibt es generell oft sehr viel Feedback, aber eben auch viel Störfeuer. Familienpolitisches zieht auch allerhand Hass auf sich, und Posts, die sich in irgendeiner Weise mit Abtreibung befassen.

Spannend wird es auch, wenn wir Beiträge veröffentlichen, die  nicht benachteiligte, sondern gesellschaftlich als „normal“ aufgefasste und daher bevorteilte Gruppen in den Vordergrund stellen – zum Beispiel „die privilegierten Heterosexuellen“ statt „die diskriminierten Lesben“, oder wenn es um Rassismus innerhalb sich als progressiv verstehender Kreise geht. Da gibt es dann vor allem ganz viel „klassische“ Abwehr und ganz viel Gerangel um die Deutungshoheit über Diskriminierungserfahrungen. Das würde ich aber nicht pauschal als Getrolle einordnen wollen. Hier wird hingegen manchmal besonders deutlich, dass wir alle mit unterschiedlichen Voraussetzungen in solche Diskussionen gehen – wie unbedarft oder sensibel mit diskriminierender Sprache umgegangen wird, wie geübt die Teilnehmer_innen darin sind, ihre eigene soziale Position zu benennen und zu hinterfragen, wie vertraut es ihnen ist, Definitionsmacht an Betroffene abzugeben… Das ist für uns als Moderatorinnen oftmals eine Gratwanderung, denn wir wünschen uns natürlich, dass möglichst viele verschiedene Leute Lust haben, bei uns mitzudiskutieren, und gerade Menschen mit Diskriminierungserfahrungen auf verschiedenen Ebenen haben natürlich nur beschränkt Nerv, sich immer wieder die gleichen privilegierten,  oftmals ignoranten Standpunkte zu Gemüte zu führen. Und wir wollen alle nicht immer wieder bei Null anfangen. Gleichzeitig liegt hier natürlich auch ganz viel Lernpotential für Leute, denen solche Auseinandersetzungen bisher nicht so vertraut sind. Wir bewegen uns mit unserem Blog in einem Spannungsfeld zwischen Bildungsauftrag, Ort der Wissensproduktion (schließlich wollen wir ja, dass sich in der Gesellschaft einiges ändert) und antidiskriminatorischem Schutzraum. Hier die Balance zu halten, ist eine tägliche Herausforderung – und Trolle haben da so gar nichts Hilfreiches beizutragen.

Das E-Mail Interview für die Libelle führte Franz Fuchs


hatr.org
Wohin mit den Trollen, all dem Sexismus, Rassismus, der Homophobie, der sich in Online-Foren ansammelt? hatr.org entstand als Sammelstelle für all den Schund. Geboren wurde die Idee auf dem Gendercamp 2010 – als Antwort auf die Frage, ob Hass-Kommentare durch einfaches Löschen nicht zu unsichtbar gemacht werden. Durch das Verschieben von Trollpostings auf hatr.org bleiben die Blog-Diskussionen frei davon – können aber auf hatr.org öffentlich wahrgenommen werden.

maedchenmannschaft.net
Seit 2007 berichten die Bloggerinnen von maedchenmannschaft.net über aktuelle geschlechterpolitische und feministische Themen. Das Blog gilt als eine der wichtigsten Adressen für Feminismus im Netz. Ausgezeichnet wurde es unter anderem mit dem „Deutsche Welle Blog Award“ als bestes deutschsprachiges Blog. Wer das unabhängige Blog unterstützen möchte, kann dies hier tun.

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