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Nachtschicht

Es ist kurz nach 22 Uhr, das heißt Arbeitsbeginn bei der Straßenreinigung. Der Gemeinschaftsraum der Holding Graz, Kommunale Dienstleistungen GmbH Service/Stadtraum ist voll, die Straßenreiniger sind bereits in ihre Arbeitsmontur gekleidet und in Aufbruchsstimmung. Seit 1. Jänner 2011 ist die Straßenreinigung bei der Holding AG eingegliedert. Davor waren sie den Wirtschaftsbetrieben der Stadt Graz zugeteilt. Jede Nacht von Montag bis Samstag arbeiten rund 20 Straßenkehrer und 10 Kehr- und Waschwagenfahrer in der Grazer Innenstadt und auf den großen Durchfahrtsstraßen wie zum Beispiel auf der Kärntnerstraße. Der Straßenverkehr würde es nicht zulassen, die Reinigung tagsüber durchzuführen. Es ist 22 Uhr 15, der Gemeinschaftsraum leert sich. Das Handy klingelt, letzte Koordinationen werden vom Kehrmeister der Nachtstraßenreinigung, Martin Bertolin, unternommen.

Michael macht seit 18 Jahren als Straßenreiniger seinen Job. Heute begleite ich ihn in seinem Dienst. Durch Zufall ist er zu dieser Stelle gekommen. Davor war er an der Universität Graz in der Haustechnik angestellt. Seit geraumer Zeit geht er Nacht für Nacht die Herrengasse über den Jakominiplatz bis zur Mondscheingasse ab. Kein Papier, keine leere Bierdose und keinen einzigen Zigarettenstummel übersieht er. Das was tagsüber die Passanten in der Innenstadt einfach fallen lassen, oft nur wenige Meter neben den Mistkübel, hebt er jeden Abend auf. Oft zweimal, denn wenn die Letzten vom Feiern nachhause gehen hinterlassen sie ihre Spuren. Jedes Jahr werden circa 150 Tonnen Splitt, Müll und Laub gekehrt und entsorgt. Am Wochenende oder wenn es Veranstaltungen in der Innenstadt gibt muss oft mehr als gewohnt gekehrt werden. Ausnahmesituationen hat die Straßenreinigung zu Fasching, Silvester oder auch wenn zum Beispiel „Aufsteirern“ ist. Dann werden Sonderdienste eingeschoben und es wird sogar sonntags gearbeitet, um die ein bis drei Tonnen Müll entsorgen zu können. Es sind dann bis zu 12 Straßenreiniger und vier bis fünf Fahrzeuge zusätzlich unterwegs. All das, um die Straßen für den Morgen danach wieder strahlen zu lassen. Auch den Winterdienst im städtischen Bereich hat die Straßenreinigung über. Das heißt, dass die Straßen und Gehwege vom Schnee befreit werden und Salz gestreut wird. Michael spürt den kalten Winter oft nicht. Er zieht auch keine dicke Jacke an, denn durch die körperliche Arbeit wird es ihm ohnehin nicht so schnell kalt.

Heute startet Michael in der Hans-Sachs-Gasse. Ich darf ihn begleiten. Die ersten kleinen Mülldeponien, bestehend aus Papierfetzen, Zigarettenstummeln und Staub sind unübersehbar. Er stellt seinen Kehrwagen ab, nimmt einen seiner zwei Besen und beginnt den Müll zu kleinen Haufen zusammen zu kehren. Als er damit fertig ist, schnappt er sich, fast schon elegant, seine große Schaufel. Den Müll kehrt er darauf und entleert ihn in seinem Kehrwagen, den er der Einfachheit halber nur „Wagerl“ nennt. Besen und Schaufel im „Wagerl“ verstaut, geht es weiter. Michael mustert die Straße mit einem Röntgenblick. Nichts bleibt liegen. Nichts übersieht er. Er ignoriert nicht einmal den kleinsten Papierfetzen, der aus den Pflastersteinfugen heraus blitzt. Wir biegen in die Hamerlinggasse ein. Dort sind außer ein paar Reklamezetteln und einer leeren Alu-Dose, die Überreste einer anscheinend öffentlichen gehaltenen Feier, drei leere Weinflaschen zu entsorgen. Alles sammelt Michael in seinem „Wagerl“ ein, das mit der Zeit immer schwerer wird. Die Arbeitsroute führt uns in Richtung Bischofplatz weiter. Dieser Straßenteil ist sauber. Ich sehe keinen Müll. Aber Michael lässt sich weder von meinen Fragen, noch von der Kamera ablenken. Er bleibt stehen, stellt sein „Wagerl“ ab, nimmt seinen Besen und die Schaufel, verschwindet zwischen den Autos und kommt, mit dem Müll auf der Schaufel aufgefasst, zurück. Passanten kommen vorbei. Drehen sich zu uns um und beobachten uns kurz. Dreimal bleibt Michael noch bis zum Feinkostladen Frankowitsch stehen um die Straße zu reinigen. Wir biegen ab in die sonst tagsüber belebte Stempfergasse. Jetzt ist sie fast leer. Dort ist ein Radständer umgefallen. Darunter häuft sich Laub und Staub, welches selbstverständlich gekehrt wird. Die Grazer Straßen werden nicht nur von Müll gereinigt, sondern auch von Staub. Dazu sind jede Nacht drei Waschwägen unterwegs und reinigen die Straßen nass. 8000 Liter Wasser werden am Andreas- Hofer-Platz bei einem Hydranten getankt. Als wir von der Herrengasse am Jakominiplatz angekommen sind, kommt auch schon der Waschwagen. Es ist wahrlich ein Spektakel, als der Waschwagen, so groß wie ein Lastkraftwagen, aus einer breiten Düse mit sieben bis acht Bar das zuvor getankte Murwasser auf den Jakominiplatz spritzt. Das Geräusch ist unüberhörbar, es ist ein lautes Rauschen. Die Düse bewegt sich von oben nach unten, ein bisschen nach links, dann ein bisschen nach rechts und plötzlich zischt die Wassergischt auf den staubigen Asphalt. Eine grau-braune Suppe aus Staub und Dreck wird vom Asphalt in die Kanalöffnungen geschwemmt. Es sieht etwas unappetitlich aus. Nach der Nassreinigung riecht es gut. Es riecht wie nach einem Regenguss. Ich atme durch. Ein Herr, ungefähr 40 Jahre alt, steuert auf uns zu. Er fragt Michael vorwurfsvoll, ob das Wasser, das hier zum Reinigen verwendet wird, Trinkwasser sei. „Natürlich nicht, das wäre doch eine Verschwendung“, erwidert Michael schnell.

Wir gehen weiter, es kommt ein kleiner Waschwagen, der eigens für die engen Innenstadtgassen vorhanden ist. Insgesamt sind es drei große Kehrmaschinen, drei Waschwägen, zwei kleine Kehrmaschinen und zwei kleine Waschmaschinen. „Zwischen den „Standln“ kann keine große Waschmaschine fahren“, erläutert Michael und reinigt die Zwischenräume händisch mit einem Hochdruckreiniger. Es werden auch Baustellen vom Staub gereinigt und wenn Anrufe von der Polizei in der Zentrale eingehen, dass es einen Unfall gab, muss die Unfallstelle mit Kehrmaschinen oder kleinen Waschwägen von Blut und oder Glassplitter gereinigt werden. Auch Katzen- und Hundekadaver werden von der Straßenreinigung entsorgt. Michael wäscht noch händisch die engen Gassen zwischen den „Standln“ am Jakominiplatz. Sobald das erledigt ist, kommt ein Kollege mit einem kleinen Müllwagen und es werden zu zweit die Mistkübel am Jakominiplatz entleert. Michael und sein Kollege arbeiten im Akkord. Es werden ungefähr 550 Papierkörbe pro Nacht entleert. Entsorgt wird der Müll bei der AEVG in der Sturzgasse. Es ist halb eins in der Früh. Um circa zwei Uhr hat Michael eine kurze Pause, bis es dann bis sechs Uhr morgens mit der Reinigung weitergeht. Ich bleibe noch eine Stunde und beobachte diese fein koordinierte Arbeit. Jeder Handgriff ist automatisiert, 30 Plätze, 1,16 km² Innenstadt und Teile vom II., III., IV., V. und VI. Bezirk werden von der Nachtstraßenreinigung betreut. Auf meine Frage, wie man es schafft, täglich einen Nachdienst absolvieren zu können und das über Jahre hinweg, bekomme ich die einheitliche Antwort, dass Disziplin dazu gefordert ist.

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