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Freiheit & Partnerschaft

Heute haben wir zwar von Gesetzes wegen viele Freiheiten, aber unser Eros sitzt noch immer schmachtend im Gefängnis unserer eigenen Moral. Jener freie Umgang mit Sexualität, der uns tagtäglich vorgegaukelt wird, ist meist nicht mehr als Schein. Eine inszenierte Freizügigkeit täuscht geschickt Freiheit vor, während das Mittelalter noch immer fröhlich in unseren Seelen vor sich hin modert. „Die meisten Menschen sind sehr tapfer in ihrem alltäglichen Kampf gegen die Sexualität“ schrieb Dieter Duhm und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Dabei ist es unsere eigene Natur, die wir bekämpfen, unsere elementarsten Bedürfnisse, Sehnsüchte und Wünsche. Ein Krieg gegen uns selbst, geführt zu einem Preis, den wir uns schon lange nicht mehr leisten können.

Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Kunst. Spätestens seit der Aufklärung ist Freiheit einer der zentralen Werte unserer Kultur. Aber wie ist es um die Freiheit in unserem Liebesleben bestellt? Ein Thema, das relativ selten, oft widerwillig und meist verblüffend oberflächlich behandelt wird. Immerhin könnten eingefahrene Strukturen hinterfragt und Illusionen zerstört werden. Einen besonderen Knackpunkt, wenn es um Partnerschaft und Freiheit geht, scheint das Thema „Treue“ darzustellen.

In der Verliebheitsphase ist Treue kein Thema, da man im Rausch der Hormone ohnehin mit Leib und Seele auf den einen Partner fixiert ist. Aber was ist danach? Allem Anschein nach hatte die Evolution nie eine lebenslange Monogamie für uns Menschen vorgesehen. Jener Hormoncocktail, der einst die Herzen zweier Menschen entflammte, baut sich unverschämter Weise innerhalb von zwei bis drei Jahren vollkommen ab. Nach spätestens 36 Monaten ist somit jede rosarote Brille gänzlich ausgebleicht. Nun werden, unabhängig davon, wie sehr man seinen Partner liebt, wie wunderbar die Beziehung funktioniert, auch andere Menschen wieder interessant. Treue, davor noch ein natürlicher Zustand, wird nun immer öfter zur strikten Forderung, seine Natur zu kontrollieren und Freiheiten aufzugeben. Viele Gesundheitsexperten fordern zwar unermüdlich „Hör auf deinen Körper“, aber sobald es um die Bedürfnisse des Eros geht, wird dem Körper jede Kompetenz sofort wieder aberkannt. Wenigen ist aber bewusst, dass wir in diesem Fall nur von einem speziellen Treue-Verständnis sprechen, welches nicht das einzig mögliche ist und bei genauerer Betrachtung vielleicht sogar weniger mit Liebe zu tun haben könnte, als wir gerne hätten.

„Ich liebe dich!“, aber nur solange du das und das und das nicht tust. Diesen Zugang nennt man negative Treue und ist das, was man in unserer Kultur gemeinhin unter dem Begriff „Treue“ versteht. Ein Treue-Verständnis, wo man durch Unterlassung (daher „negative“ Treue) seine Liebe beweist. Wenn du mich wirklich liebst, verzichtest du bestimmte Freiheiten, zumindest aber auf das Selbstbestimmungsrecht über deinen Körper. Hier spielt der alte Opfergedanke eine Rolle, der Verzicht als Liebesbeweis. Egal wie gut diese Partnerschaft funktioniert, wie viele wunderbare verbindende Elemente diese Beziehung beglücken, wie sehr man in Krisenzeiten zueinander steht, sobald ein Partner einen Dritten zu sinnlich berührt, gilt die Treue als gebrochen. Aber müsste Liebe nicht mehr sein? Ein Gefühl, dass keine Opfer vom anderen fordert?

Unser zurzeit vorherrschendes Beziehungsmodell, welches uns von klein auf in tausenden Geschichten, Filmen und Liedtexten „einprogrammiert“ wurde, stammt aus dem 19. Jh. und war eine bürgerliche Reaktion auf das wesentlich freiere Liebesleben des Adels. Es entwickelte sich eine Liste von Dingen, die man NICHT tun darf, wenn man als treu gelten möchte. Das Bedürfnis nach sinnlich-sexueller Freiheit musste nun heimlich ausgelebt oder vollkommen verdrängt werden. Fatal ist, dass der Verzicht als Liebesbeweis genau in jenem Lebensbereich gefordert wird, dessen Einzäunung auf Dauer meist nicht ohne physische und psychische Konsequenzen bleibt. Warum sich bei uns Treue ausgerechnet über die Einschränkung des Eros definiert, wurzelt vermutlich in der männlichen Angst vor „Kuckuckskindern“. So wurden Frauen bereits in grauen Vorzeiten auf immer bizarrere Art und Weise ihrer Freiheit beraubt, bis letztendlich auch die Männer selbst im Kerker ihrer eigenen Regeln landeten. Nun durfte keiner mehr, weder Mann noch Frau, in einer Partnerschaft frei über seinen eigenen Körper verfügen.

Es gibt aber nicht nur die negative Treue, sondern, wenngleich sich dessen wenige bewusst sind, auch einen vollkommen anderen Zugang, die positive Treue. Positive Treue misst sich nicht an dem, was man nicht tun darf, sondern an dem, was zwei Menschen verbindet, also an dem, was eine Partnerschaft positiv definiert. Hier zählt das, was verbindet und nicht das, was einen trennen könnte. Opfer oder die Einschränkung von Freiheiten des anderen sind als Liebesbeweis überflüssig. Hier zählt Liebe, Freundschaft und Leidenschaft, das gemeinsame Pferde stehlen, der Zusammenhalt in der Krise. Hier zählen die schönen Momente und das ganz Besondere, was nur diese Beziehung ausmacht und ausmachen kann. Heimliches Fremdgehen, Lügen, oder ein vorzeitiges Auflösen von gut funktionieren Partnerschaften auf Grund von sogenannten „Ausrutschern“ sind hier überflüssig.

Solche Partnerschaften, meist „offene Beziehung“ genannt, werden bei uns noch immer gern mit gelebten Pornofilmen verwechselt. Jeder mit jedem und das am besten mehrmals täglich. Aber in Wirklichkeit definiert sich eine offene Beziehung nicht durch die sexuellen Interaktionen mit Dritten (diese könnten auch überhaupt nicht stattfinden!) sondern einzig und allein durch das Konzept der positiven Treue. Am konsequentesten wird das Modell der positiven Treue bei Polyamory (auch „Polyamorie“ oder „Polyamour“) gedacht und gelebt. Polyamory ist ein Beziehungsmodell, wo mit vollem Wissen und Einverständnis aller Beteiligten auch Liebesbeziehungen zu Dritten gelebt werden können. Denn auch die Liebe zu einem Dritten steht bei genauerer Betrachtung weder emotional noch sexuell in Konkurrenz zur Hauptbeziehung, sondern bereichert diese durch die konkret erlebte Differenz. Somit verstärkt das Besondere der einen Beziehung die spezielle Qualität der anderen.

Gerade in letzter Zeit wenden sich immer mehr Menschen Polyamory oder anderen auf positive Treue basierenden Beziehungsmodellen zu, und so könnte dieser kurze Text ein wenig zum Verständnis dieser Zugänge beitragen. Er sollte aber auch dazu anregen, ein Thema neu zu reflektieren, welches uns von klein auf sehr einseitig serviert wurde. Am Ende gilt aber immer, wie der alte Fritz schon sagte, jeder soll nach seiner Fasson selig werden.

Text: Dominika Kalcher und Josef Düregger

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