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Iran

Der Jahrestag

„Esteqlal, Azadi, DschomhuriyeEslami!“ („Unabhängigkeit, Freiheit, Islamische Republik“) tönt es aus den Lautsprechern. Nur wenige der geschätzten 50.000 Demonstra¬ntInnen wiederholen den Ruf. Die meisten scheinen die Veranstaltung eher als Pflichtübung zu empfinden. Hinter einer Reihe Bassidji marschieren Abordnungen der städtischen Händlervereinigung, der Bäcker, des Judovereins, der Belegschaft des Flughafens… Ich bin in Yazd, einer Stadt im zentralen Hochland des Iran unmittelbar vor der Dasht-e Lut. Es ist der 22. Bahman, 11. Februar – der 33. Jahrestag der Revolution von 1979. Nur wenige Stunden später ist der ganze Spuk wieder vorbei. Die großen Plätze sind leer, auf den Prachtstraßen stauen sich – wie immer – die Autos und die Bühne auf der am Vormittag VolksschülerInnen fahnenschwenkend Revolutionslieder gesungen haben, ist verwaist und dient als Abenteuerspielplatz für die Kinder aus der Nachbarschaft.

Die Revolution 1979 brachte den Sturz des Schahs und verbannte den USImperialismus aus dem Land. Die Ziele, für die Millionen ArbeiterInnen und Jugendliche auf die Straße gingen, wurden aber betrogen. „Es ist nicht so, dass die Revolution ihre Kinder gefressen hätte“, erzählt mir Reza, ein Glasbläser, am Abend beim obligaten Tee. „Gefressen wurden die leiblichen Eltern. Khomeini und die anderen haben doch nur die Revolution ausgenutzt, sich an die Spitze gesetzt und dann alle ermordet, die ihnen im Weg standen und die die Revolution eigentlich gemacht haben.“ Die Revolution wirkt alt und müde. Die Parolen klingen hohl und nur wenige hören zu. Die Farbe der großen revolutionären Wandgemälde aus den 80ern blättert ab und keiner scheint Zeit und Muße zu haben, sie zu restaurieren. Vor allem die jungen IranerInnen, insbesondere die Frauen, können mit dem islamisch-revolutionären Pathos vergangener Jahrzehnte kaum mehr etwas anfangen.

Widerstand

Gegenüber der Universität Teheran liegt der Daneshgu-Park, eine ruhige, grüne Insel mitten im stinkenden, hysterisch-lauten Verkehrschaos der Hauptstadt. StudentInnen gehen hier zwischen den Vorlesungen her, um zu relaxen, zu lernen, Tee zu trinken und um sich mit FreundInnen zu treffen. Ich sitze mit Ali, einem angehenden Physiker und einigen seiner KollegInnen im Gras. Wir genießen die letzten Strahlen der Februarsonne. Marjam, Alis Freundin, erzählt von den unerträglichen Zuständen an der Uni. Überfüllte Hörsäle, zu wenig Lehrende, Massenabfertigung, schlechte Jobaussichten; kommt mir bekannt vor. Dazu kommen allerdings noch die permanente Kontrolle und die Repression, die einsetzt, sobald irgendein Wort geäußert wird, das nicht den vorgeschriebenen Phrasen entspricht. Am Eingang der Universität haben die Behörden eine große US-amerikanische und israelische Fahne auf den Boden malen lassen. Die Studierenden sind angehalten, jedes Mal wenn sie hineingehen, mit ihren Füßen drauf zu treten. Marjam, Ali und ihre FreundInnen haben sich ein Spiel daraus gemacht Anlauf zu nehmen und darüber zu springen. Das geht nicht immer, weil der Eingang streng überwacht wird, ein kleines Zeichen des Widerstandes ist aber ab und zu möglich. Das heißt nicht, dass sie die israelische oder US-Politik gut finden würden, beim vorgeschriebenen pseudo-Antiimperialismus des Regimes wollen sie aber nicht mitmachen.

2009 sah es anders aus. Damals gingen hunderttausende auf die Straße um gegen das Regime zu demonstrieren. Was als Protest gegen den Wahlbetrug einer Fraktion des Regimes an einer anderen begann, entwickelte sich zum Kampf gegen das System der islamischen Republik selbst. Die Wahl der Demoroute war Programm. Von der Enqelab-Avenue sollte es auf den Azadi-Platz gehen: über die Revolution zur Freiheit. Das Ziel wurde nicht erreicht, weder auf der Demonstration noch im revolutionären Gesamtprozess. Dazwischen stellten sich die Polizei und die Bassidji, die Freiwilligen- Schlägertrupps des Regimes. Tausende wurden verhaftet und über hundert Menschen getötet. Die „Führung“ der Bewegung, Mir Hussein Mussawi und andere, wurden von den Massen überholt und waren weder in der Lage noch willens, das System an sich anzugreifen. Sie versprachen kleine Erleichterungen im täglichen Leben und forderten die Neuauszählung der Stimmen, während hunderttausende überwiegend junge Menschen den Sturz der Diktatur verlangten. Der Großteil der Führung der „Grünen“ (insbesondere Mussawi) waren und sind integrale Bestandteile des Systems und weigerten sich, tiefer greifende Veränderungen vorzunehmen, als sie selbst an der Macht waren, oder solche zumindest vorzuschlagen. Es war die Massenbewegung der Jugend und zahlreicher ArbeiterInnen, die sie ab Sommer 2009 in die Rolle einer scheinbar prinzipiellen Opposition zwängte (ohne es zu wollen). Die Folge war ihr Hinausdrängen aus dem politischen Establishment, welches zur exklusiven Spielwiese der verschiedenen rechtskonservativen Kräfte wurde. Als Nachwirkung bleibt ein außerordentlich weit verbreiteter Zynismus gegenüber dem politischen System und – bei vielen – der Rückzug ins scheinbar unpolitische Privatleben. Während wir über die letzten Jahre reden, kommt Unruhe auf im Daneshgu-Park. Die Polizei ist gekommen und kontrolliert, ob die Kopftücher der Frauen auch züchtig genug sitzen. Auch wenn die alten Sittenwächter-Komitees formal aufgelöst sind,wird immer noch von offizieller Seite streng über die Einhaltung der Kleidungs- und Moralvorschriften geachtet. Dabei geht es allerdings weniger darum, die Kleiderordnung tatsächlich durchzusetzen, sondern um permanente Kontrolle. Die Folge des Polizeieinsatzes im Daneshgu-Park ist, dass alle aufstehen und gehen. Das ist der Sinn der Aktion, schließlich sitzen da ja junge Menschen zusammen; wer weiß, welche staatsgefährdenden Gespräche da geführt werden oder ob da gar Menschen unterschiedlichen Geschlechts ohne Aufsichtsperson Kontakt haben…

Ein Regime, das Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt, versucht, jeden Kontakt zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts außerhalb der Ehe zu unterbinden, das verantwortlich ist für die Massenverarmung einerseits und die Konzentration des Reichtums bei den Eliten andererseits, kann nicht auf Dauer bestehen. 2009 war eine schwere Niederlage, neue Massenbewegungen und letztlich der Sturz der Diktatur sind aber nur eine Frage der Zeit. Viele blicken auf die arabischen Länder. Während das Regime in den Revolutionen eine Wiederholung der eigenen Geschichte sieht, worin sich Ahmadinejad mit nicht wenigen selbsternannten westlichen „Intellektuellen“ einig ist, haben viele Jugendliche und ArbeiterInnen andere Schlussfolgerungen gezogen. Nur ein Jahr nach der blutigen Niederschlagung der Nach-Wahl-Proteste gingen wieder zehntausende in Teheran, Shiraz, Isfahan, etc. auf die Straße, um gegen das Regime zu protestieren. Wieder gab es ein brutales Vorgehen der Sicherheitskräfte, das mindestens drei Tote, 91 Verletzte und hunderte Verhaftungen zur Folge hatte. Aber auch das wird nicht das Ende sein.

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