Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben für ein kurzes Gespräch. Sie haben das Buch „Extreme Rechte in Europa“ veröffentlicht. Wodurch unterscheidet sich der neue Rechtsextremismus vom alten?
Im alten Rechtsextremismus wurde die Nation verstanden als Abstammungsgemeinschaft und sie war in Abgrenzung zu anderen Nationen die zentrale Bezugsgröße. Dieser Nationalismus oder nationale Partikularismus des Rechtsextremismus hat es nach 1945 immer wieder verhindert, dass sich eine europäische extreme Rechte herausbildet, es hat zwar immer wieder gegenläufige Versuche gegeben, die sind aber alle gescheitert, weil die unterschiedlichen Nationalismen immer wieder aufeinandergeprallt sind. Es gab jedoch eine Einigungsideologie bis 1945, so etwas wie einen Eurofaschismus, der nicht gleichzusetzen ist mit NS- und Kollaborationsfaschismus, die es schaffte, die unterschiedlichen Nationalismen zu überwölben – und diese war der Antisemitismus. Nach Auschwitz war dieser Antisemitismus außer in der Neonazi-Szene, welche sich sehr schnell übernational organisieren konnte, weil sie ein gemeinsames Feindbild hatten, in den Hintergrund getreten. Gruppierungen die auf Erfolge bei Wahlen hoffen, können nicht derartig offen antisemitisch sein. Sie verlieren dadurch das einigende Moment. Ein weiteres Grund für das oftmalige Scheitern einer transnationalen Einigung sind sicherlich auch die narzisstischen Eitelkeiten der Führungspersonen. Das Neue ist jetzt, dass antimuslimischer Rassismus den Antisemitismus in dieser Einigungsfunktion abzulösen scheint. Antisemitismus bleibt aber nach wie vor in anderen Funktionen sehr bedeutend. Jetzt bildet sich eine europäische Rechte gegen den Islam. Mein Buch soll ein Alarmschrei bezüglich des Bildens einer geeinten Fraktion im Europaparlament sein. Mithilfe dieses Feinbildes verschwimmt auch immer mehr die Trennlinie von Rechtsextremen und Rechtspopulistischen Parteien.
Zentrale Gemeinsamkeit dürfte das Feindbild „Muslime“ oder „die Verteidigung des Abendlandes“ sein. Es reicht offensichtlich aus um früher verfeindete Gruppierungen zusammenzubringen zB die FPÖ mit serbischen Nationalisten. Ist dieser Kleber wirklich so stark, dass dies über ganz Europa gehen kann?
Die betroffenen Gruppierungen sind sich der Wirkung des neuen gemeinsamen Feinbildes bewusst und es wäre aus ihrer Sicht unklug davon abzurücken. Es gibt noch eine zweite Funktion dieses Antimuslimismus. Es ist gesellschaftlich akzeptiert auf eine gewisse Weise über den Islam zu reden und dies ist das Einfallstor für den Rechtsextremismus in den Mainstream. In der Wirtschaftskrise zieht der antimuslimische Rassismus aber nicht mehr so gut bei der breiten Masse. Den Menschen dürstet nach einfachen Welterklärungen und hier kommt wieder der Antisemitismus ins Spiel, diesmal in codierter Form: Es seien die „internationale Hochfinanz“ oder die als Heuschrecken dargestellten „Spekulanten“, denen wir die Misere zu ausschließlich zu verdanken hätten. In der Agitation wird der Antimuslimismus also gerade etwas zurückgenommen, aber als einigendes Moment auf europäischer Ebene bleibt er langfristig relevant.
Sie haben die Mehrheitsfähigkeit von muslimischem Rassismus bereits angesprochen. Es gibt Statistiken die besagen, dass 70 Prozent der Bevölkerung antimuslimischen Argumenten zustimmen. Sehen Sie die Gefahr, dass nicht nur rechte Parteien dies ausnutzen sondern auch konservative Parteien nach rechts ziehen oder sogar sozialdemokratische Parteien liebäugeln mit diesem Gift?
Als gelernte Österreicher und Österreicherinnen haben wir es schon selbst erlebt, wie die anderen Parteien während des Aufstiegs der Haider-FPÖ reagiert haben. Vor allem die Sozialdemokratie, die der FPÖ weltanschaulich weit entfernt steht, hat den Rassismus dieser Bewegung bekämpft indem sie den staatlichen Rassismus entgegengesetzt haben. Nach jedem Erfolg der FPÖ folgten immer stärkere Einschränkungen für MigrantInnen bzw. Migrationswillige. Als aktuelleres Beispiel kann man Frankreich sehen. Sarkozy ließ Roma aus Rumänien ausweisen, was meiner Meinung nach nicht dem EU-Recht entspricht – zumindest nicht so wie ich die EU verstehe. Eigentlich widerspricht dieses Vorgehen dem Stellenwert, den die Grundfreiheiten der EU sonst in konservativen Kreisen genießen. Am Beispiel Österreichs kann man eigentlich sehen, dass eine derartige Strategie, abgesehen vom politisch skandalösen Agieren gegen die eigenen Werte, nicht erfolgreich sein kann. Indem man eine derartige Politik umsetzt macht man den Rassismus noch salonfähiger.
Werden rechte Parteien dadurch auch salonfähiger?
Ja, leider. Erfolgreiche rechtsextreme Parteien, vor allem solche die den Sprung in die Regierung schaffen – meistens in Koalition mit einer konservativen Partei, aber am Beispiel der Slowakei bzw. der Koalition von Smer und SNS sieht man, dass es auch hier Ausnahmen gibt – verschieben das Koordinatensystem der politischen Landkarte weiter nach rechts. Gleichzeitig sehen sich aber auch die rechtsextremen Parteien zu kosmetischen Korrekturen und Rücksichtnahmen gezwungen, was intern extrem konfliktbehaftet ist. Das lässt sich auch anhand der FPÖ gut zeigen: Ende der 1990er Jahre wurde das Bekenntnis zur „deutschen Volksgemeinschaft“ aus dem Parteiprogramm gestrichen, gleichzeitig wurde die Verteidigung der „Werte“ des Christentums aufgenommen. Dies geschah zum Ärger und unter Protest der Burschenschafter, in Wien angeführt vom jungen Strache. Auf persönlicher Ebene kamen zu dieser Zeit immer mehr Nicht-Burschenschafter zum Zug. 2002 zerbrach die derart heterogener gewordene Partei dann in Knittelfeld, vollzogen wurde der Bruch dann 2005. Es passiert aber vielen rechtsextremen Parteien, dass sie in Flügel zerfallen. Das besondere an der FPÖ war bis dahin, dass sie geeint war. Nun haben die Burschenschafter die FPÖ wieder fest in ihren Händen, was sich auch im neuen Parteiprogramm vom Juni 2011 niederschlug: dort findet man nun wieder die „deutsche Volksgemeinschaft“.
Insgesamt rückt Europa also nach rechts. New Labor und der Dritte Weg, polemisch oft als Nadelstreifensozialismus benannt, haben durch ihre Unglaubwürdigkeit den Aufstieg der extremen Rechten sicherlich begünstigt. Die Gesamtszenerie verschiebt sich nach rechts, auch wenn es an der Oberfläche die Pendelbewegung nach links gibt. Gerade während der Krise sieht man, dass nur sehr selten die Regierenden an der Macht bleiben. Hier manifestiert sich die Pendelbewegung.
Ist die Demokratie insgesamt in Gefahr?
Die Demokratie ist von zwei Seiten in Gefahr. Einerseits von unten dadurch dass sich die breite Masse abwendet von der Demokratie. Man wendet sich zwar nicht vom formalen Prinzip ab, aber von der Idee, die hinter der Demokratie steckt. Immer mehr Menschen geben die Vorstellung von Demokratie, von Gleichheit und Solidarität auf. Das ist durchaus auch das Verdienst einer neoliberalen Hegemonie und dem übertriebenen Leistungsdenken. Zum kollektiven Abwenden vom Demokratischen kommt die Auflösung der Rechtsstaatlichkeit. Es gibt Regionen in Europa, die von Menschen mit bestimmter Hautfarbe, sexueller Orientierung oder politischer Gesinnung nicht betreten werden können. Es kommt in vielen Ländern Europas zu Pogromen. Es zeigt sich, dass der Staat zurückweicht und zum Teil kommt es sogar zu offener Komplizenschaft von Teilen des Polizeiapparates bis hin zu paramilitärischen Parallelstrukturen. Hier ist die Demokratie und der Rechtsstaat akut in Gefahr. Wahlen werden vielleicht beibehalten werden, aber Demokratie als Rechtsstaat ist in Europa akut bedroht.
Eine weitere Gefahr, und zumindest bei der herrschenden politischen Klasse ist es längst passiert, also kann man in diesem Bereich nicht mehr von drohender Gefahr sprechen, ist das Zurückziehen der Politik vom Gestalten selbst. Man exekutiert oftmals nur noch Vorschläge, die zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit des Standortes als geeignet erscheinen. Hätte es diese Entleerung der Demokratie, diese Anti-Politik von oben nicht gegeben, wäre die extreme Rechte nicht so stark geworden.
Wie wichtig ist der WKR-Ball für die rechte Szene in Europa?
Nicht umsonst legt die FPÖ ihre Vernetzungstreffen auf europäischer Ebene immer auf das Wochenende des WKR-Balles. Hiermit hat man ein repräsentatives Ereignis. Der WKR-Ball unterstützt die Netzwerkbildung in Europa. Personen aus dieser Szene kommen auch gerne zum Ball und werden gerne zu diesem eingeladen.
Was kann man gegen diesen Trend tun?
Ich versuche möglichst viele Leute zu erreichen und aufzuklären. Wirklich lösen kann man das Problem aber nur mit ausreichend Druck auf die übrigen Parteien, um sich glaubwürdig inhaltlich von den Rechten abzugrenzen. Besonders hervorzuheben ist die Notwendigkeit von mehr Glaubwürdigkeit – nicht nur im Antifaschismus, sondern auch im Vertretungsanspruch der Menschen.
Das Interview führten Franz Fuchs und Marco Wechselberger
Schiedel, Heribert – Extreme Rechte in Europa
Broschur, 120 Seiten
ISBN: 978-3-902494-54-2
Preis: € 22,50