Illustration Felicia Meissner
Allgemein

Funny Animals?

Das Wort Anthropomorphismus findet seinen Ursprung im Griechischen anthropómorphos, zu Deutsch menschenähnlich, und bezeichnet die Übertragung menschlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen auf nicht menschliche Dinge und Wesen. Im Comic fand das Gestaltungselement der anthropomorphen Tierfigur gegen Ende des 19. Jahrhunderts Einzug. Waren es zuvor menschliche Charaktere, die mit ihren Kommentaren die Panels verschiedener Comicstrips beherbergten, so setzten einzelne Karikaturisten und Comiczeichner nun gezielt Tiere in Szene und bereicherten so das noch junge Medium. Die Wurzeln einer derartigen Revolution im Comic reichen bis in früheste Zeiten menschlicher Kultur zurück und sind im 20. Jahrhundert mit Figuren wie Krazy Kat, Mickey Mouse oder Donald Duck zu ihrem anthropomorphen Höhepunkt gereift.

Zweifelsohne hatten Tiere bereits vor Ende des 19. Jahrhunderts ihre Rolle im Comic in Anspruch genommen, wesentlich war nun jedoch die neu erworbene Eloquenz einzelner tierischer Charaktere. So hatte Richard Felton Outcault in seiner Serie The Yellow Kid bereits ab 1895 einen Papagei und in Buster Brown ab 1902 einen Hund namens Tyge als Kommentatoren in Szene gesetzt. Die Handlung direkt zu beeinflussen war den beiden jedoch nicht gewährt, sollten ihre Artikulationen als unhörbare Stimme für die restlichen Protagonisten im Strip doch ausschließlich dem Verständnis der Leser dienen. Ähnlich praktizierte es vier Jahre später Lyonel Feininger in seinen Kinder-Kids. Neben Fischen, die als Spiegel der LeserInnenreaktion das Geschehen im Sinne eines griechischen Chors untermalten und einer an spirituellen Sitzungen teilnehmenden Katze, war es auch hier ein Hund, der zunehmend Teil an der Handlung gewann. Gemeint ist der Dackel Sherlock Bones – eine nicht zu übersehende Anspielung auf den fiktiven britischen Detektiv Sherlock Holmes des 19. und 20. Jahrhunderts –, dessen Artikulationen zu verstehen nur den RezipientInnen erlaubt war. Ein essentielles Merkmal anthropomorpher Tierfiguren im Comic blieb also weiterhin gesucht: die vermenschlichte Verhaltensweise. Eine Symbiose zwischen Mensch und Tier im Comic war ob der Tatsache, dass alle Tiere unbekleidet waren und ihrem ursprünglichen animalischen Naturell entsprechend agierten, noch nicht vollzogen. Ab 1910 sollte sich dieser Umstand jedoch ändern. Am 26. Juni 1910 machte der Cartoonist George Herriman auf sich aufmerksam. In seiner The Dingbat Family brachte er den Stein als bottom strip ins Rollen um nur drei Jahre später mit der Serie Krazy Kat den Begriff funny animal strips vollkommen neu zu definieren.

Dass (Tier-)Comics nicht primär komisch sein müssen, beweist eine in den 1980er Jahren aufgekommene neue Strömung in der neunten Kunstform. Der Comic als Tatsachenbericht bzw. Medium zur Widerspiegelung historischer Realität oder vielmehr tragischer Begebenheiten der Menschheitsgeschichte ist spätestens seit Keiji Nakazawa und seinem Comic Barfuß durch Hiroshima (1982) bekannt. Eine Verschränkung der Entwicklungslinien der anthropomorphen Tiergestalt und jene des Tatsachenberichtes liegt in Art Spiegelmans tragisch-berühmten MAUS – A Surviver’s Tale (1986, 1992 bzw. 1996) vor. Denn Spiegelman präsentiert hiermit nicht nur eine autobiografische Comic-Erzählung über seinen Vater Vladek, der Auschwitz überlebte, sondern zeichnet seine Figuren mit Tierköpfen. Scheint es zuerst tatsächlich so, der Comiczeichner knüpfe an die Tradition der funny animal strips an, so wird schnell deutlich, dass hier nicht anthropomorphe Tierfiguren im eigentlichen Sinn, sondern Menschen mit symbolischen Tiermasken, die im Sinne von „Nationalcharakteren“ verstanden werden können, die ProtagonistInnen sind. Mit der Autobiografie über seinen Vater ist Spiegelman in das Innere des Holocaust, die Judendeportation und -vernichtung durch „Nazi-Deutschland“ eingedrungen, wie es in der Literatur nur Primo Levi, Jorge Semprun oder Imre Kertész gelungen ist. Die ehrlich-schockierende und zugleich künstlerisch zeitgemäße Darstellung des Holocaust in Comicform brachte Art Spiegelman 1992 den Sonderpulitzerpreis ein.

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