Wortfetzen auf Deutsch, Ungarisch und Englisch bilden ein Legato aus Stimmen. Begleitet von mäßigem Applaus findet sich „Club Hostice“ auf der Bühne des Jazz Clubs STOCKWERK ein. Seit Jahren imponiert der Grazer Club unter der Leitung von Otmar Klammer mit seinen vielfältigen Jazz-Acts, doch heute soll Gypsy- Musik das Publikum aus ihren Sitzen reißen. Das Bühnensetting ist schlicht. Die drei dunkelhaarigen Männer wirken angespannt. Ladislav Lakatos, der Geiger, steht in der Mitte. Seine Schultern sind leicht hochgezogen, er kreist seine rechte Hand, nimmt einen tiefen Atemzug und zückt den Bogen.
Kennt man die Geschichte des 40-jährigen Lakatos, ist seine Nervosität nicht verwunderlich. Seit Jahren schon spielt er nicht mehr auf der strahlenden Bühne, sondern am kalten Straßenpflaster von Graz. Für OsteuropäerInnen ist es nicht einfach, Arbeit zu bekommen – weder in ihrer Heimat noch in Österreich. Als Fabriksarbeiter und mit Gelegenheitsjobs versuchte Lakatos, seine Familie über Wasser zuhalten, bis er, wie viele seiner Bekannten, sein Glück in Graz versuchte: „Ich wollte nie betteln – ich wollte arbeiten.“ Zögerlich nippt Lakatos an seinem Tee. „Früher hab‘ ich auch zu Hause gut von der Musik gelebt – besser als die meisten anderen.“ Lakatos spricht gedämpft. „Wenn ich auf der Straße spiele, mache ich fast nie Pausen und spiele viele Stunden. Denn vielleicht kommt genau in dem Moment einer vorbei, dem mein Musizieren gefällt und es honoriert – jede Minute ist kostbar.“ Die dunklen Augen der drei Männer halten Blickkontakt. Kaum merklich hebt Lakatos sein Kinn und nickt seinen beiden Freunden zu. Volle, weiche Klänge durchströmen den Konzertraum, sobald der Violinist behutsam über sein Instrument streicht. Die Melodie trägt die Anspannung des Musikers in die Weite und lässt das Publikum verstummen. Begleitet von Klavier und Gitarre erzählt die Geige von Ladiskav Lakatos die melancholische Geschichte von einem weit entfernten Ort mit dem Namen Hostice.
Lediglich sechs Autostunden ist die kleine Gemeinde in der südlichen Mittelslowakei von Graz entfernt, dennoch herrscht eine tiefe Kluft zwischen dem 900-Seelen-Ort und der „City of Design“. „Arbeit zu haben bedeutet bei uns zu Hause ein großes Glück“, sagt Lakatos auf Ungarisch. Lediglich fünf Prozent haben in Hostice dieses Glück. Die restlichen 95 Prozent müssen versuchen, irgendwie über die Runden zukommen. Niemand ist sich für irgendeine Arbeit zu schade, sogar der Bürgermeister Rácz arbeitet nebenbei als Sozialarbeiter – und reinigt Sickergruben. Überleben ist schwierig, die Unterstützung vom Staat nicht erwähnenswert. Eine vierköpfige Familie muss mit einer Sozialhilfe von durchschnittlich 320 Euro auskommen. Der Stargeiger von Club Hostice ist müde. Wie jeden Tag musste er um 6.30 Uhr seine Notschlafstelle im Vinzinest verlassen. Staub umspielt den Steg des abgespielten Instruments. Nach den ersten Minuten breitet sich ein zögerlicher Grinser über Lakatos´ Miene aus. Während Zsolt Berki, der Pianist, und der Gitarrist Csaba Danyi in Blue Jeans gekommen sind, trägt Lakatos seine beste graue Sakko-Hose und ein blaues Hemd mit weißen Blumen. Er steht in der Mitte des Trios und ist höchst konzentriert, während seine Finger über das Griffbrett der Violine huschen.
„Mein Sohn Arnold spielt mindestens so gut wie ich.“ Beim Gedanken an sein Kind wird Lakatos´ Gesicht weich. Auch seine Arme öffnet er aus seiner Verschränkung. „Er lernt an der besten Schule von ganz Budapest und gewinnt einen Musikwettbewerb nach dem anderen. Sogar eine wunderschöne Geige hat er bereits gewonnen.“ Auch Lakatos durfte für drei Jahre diese Ausbildung genießen, danach wurde das Geld allerdings knapp und er musste abbrechen. „Genau dafür arbeite ich. Arnold soll es besser haben. Es ist die beste Schule, und nur die besten MusikerInnen schließen in Budapest ab. Mit etwas Glück kann er die ganze Welt sehen.“ Vor einigen Jahren hat der Geiger in seiner Heimat noch sehr gut von der Musik gelebt. „Das waren noch Zeiten“, grinst Lakatos. „Viele Touristen kamen. An ganz guten Abenden klebten uns die Gäste nach altem Brauch Geld an unsere Schläfen.“ Diese Zeiten sind lange vorbei. Dennoch ist es für MusikerInnen noch immer einfacher, Geld zu verdienen, als für alle anderen Roma.
Den eifrigen Beifall durchbricht das Berki Trio nach einem kurzen Blickaustausch mit einem schnelleren Lied. Lakatos klatscht in die Hände und ruft „Jupa, Jupa“ in das Mikrofon. Wie erhofft, beginnt das Publikum im Takt der Musik zu klatschen und zu johlen. Endlich ist die biedere Zurückhaltung verflogen. Der Saal gleicht nun eher einem Dorffest als einem klassischen Konzert. Eine ansteckende Freude durchfährt Lakatos‘ Gesicht. Seine dunkelbraunen Augen sind weit aufgerissen. Er lacht.
Auf der Straße spürt der Violinist nichts von der Euphorie nach einem gelungenen Auftritt. „Ich hasse es.“ Sofort verschränkt Lakatos wieder seine Arme. „Ich bin den ganzen Tag nervös und schäme mich, wenn ich alleine auf der Straße spiele.“ Seit das Bettelverbot beschlossen wurde, verhalten sich die GrazerInnen anders. „Ich verdiene jetzt weniger. Es scheint als hätten die Leute Angst. „Seit ein paar Wochen verkaufe ich den Global Player, da heißt es nicht die ganze Zeit: ,Geh weg, du hast hier keine Genehmigung.` Ich darf auch fast nirgends mehr Geige spielen – überall sind Verbote: Billa, Merkur, Spar, St. Peter Schulzentrum – ich hab es beinahe an jedem Ort probiert. Den Global Player zu verkaufen ist außerdem einfacher, nicht so anstrengend, und ich bekomme sogar etwas mehr Geld als mit meiner Musik.“ Seit dem Bettelverbot in Graz bedeutet der Verkauf von Straßenzeitungen wie dem Megaphon oder dem Global Player für viele Roma die einzige Überlebenschance.
Das Klatschen wird lauter und wilder. Der Gypsy Swing des Berki Trios lässt alle Sorgen im Takt der Musik verblassen. Der starre, nervöse Mann ist verschwunden, an seiner Stelle steht ein selbstbewusster, strahlender Lakatos. Seine Finger bewegen sich immer schneller und schneller über das Instrument. Stolz und glücklich stampft er mit den Beinen zur mitreißenden Melodie. Seine Anspannung ist verflogen. Lakatos wirkt älter als 40. Durch seine Geheimratsecken scheint seine Stirn etwas höher. „Bei uns zu Hause sind Konzerte ganz anders als in Österreich – dort wir getanzt und gelacht. Es ist wie ein wunderschönes Fest. Vor und nach einem Auftritt sprechen wir oft von früher. Darüber, wie schön alles war. Darüber, wie einfach das Leben war. Beim Musizieren vergesse ich die ganze Welt um mich herum, das tut gut.“ Für die Zukunft wünscht sich der Geiger nicht viel: Einen gesicherten Arbeitsplatz und dass es seinen beiden Kindern einmal besser geht. Denn die seien eigentlich der einzige Grund, weshalb er nach Graz käme.
Schweißperlen zieren das Gesicht des Geigers. Lakatos tupft sich mit einem Taschentuch über seine Geheimratsecken, doch binnen weniger Sekunden spiegelt sich erneut der Glanz der Scheinwerfer auf seiner Stirn. „Dankeschön, danke“, formen seine Lippen, während das letzte schwungvolle Gypsylied noch durch den Club hallt. Lakatos lacht. Das Berki Trio hat sich warmgespielt.
Übersetzt von Ungarisch auf Deutsch: Gesa Berki
Foto: Peter Purgar