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Die Arbeit in der Tasche

Hallo Nina! Vielleicht kannst du mir vorweg einen Einblick in euer Projekt geben. Was ist tag.werk?

tag.werk ist ein Jugendbeschäftigungsprojekt, das Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren die Möglichkeit bietet, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Geleitet wird tag.werk von Mag. Bernhard Sundl. Die Jugendlichen, die zu uns kommen, gehören zu jener Gruppe von Menschen, die als „arbeitsmarktfern“ bezeichnet werden. tag.werk ist ein niederschwelliges Projekt, das heißt an die jungen Leute werden zu Beginn geringe Einstiegsanforderungen gestellt. Sollte sich herausstellen, dass einer von ihnen ein besonderes Talent hat, dann gibt es die Möglichkeit einer Teilzeitanstellung. Die Beschäftigungssituation ändert sich laufend, da wir so vielen jungen Menschen wie möglich eine Chance bieten möchten. Derzeit beschäftigen wir zehn Jugendliche am Tag.

Mich würde vor allem interessieren, wie das Projekt eigentlich zustande kam und wer zu euch kommen kann?

Das tag.werk ist ein Projekt der Caritas Steiermark. Ursprünglich ist es aus der Jugendnotschlafstelle „Schlupfhaus“ hervorgegangen. Die Idee war es, jungen Leuten auch tagsüber eine Beschäftigung anzubieten und sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Dazu gehört vorrangig, dass sie einer geregelten Arbeit nachgehen können. Zu uns kann im Prinzip jede/r kommen. Zielgruppe sind, wie bereits erwähnt, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren, die weder einer geregelten Arbeit nachgehen noch in einer Ausbildung sind. Die meisten kommen aus eigener Initiative und bekommen dann einen Tageslohn ausbezahlt.

Wie schaut der Produktionsablauf aus und wo werden die Taschen hergestellt?

Alle unsere Produkte werden direkt im Haus produziert. Connie Muchitsch ist unsere Schneiderin, Michael Eisner unser Designer. Daneben haben Susanne Rothleitner-Zus die Teamleitung und ich die Shopleitung inne. Grundsätzlich wählen die Jugendlichen das Design selbst aus, nur der Schnitt der Tasche ist vorgegeben. Wir stehen ihnen im Team beratend zur Seite. Seit zwei Jahren gibt es ein neues Taschendesign. Die Taschen sind nun erstmals innen gefüttert und haben einen Reißverschluss. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Arbeit die Jugendlichen „fördern und fordern“ und ihnen vor allem Spaß machen soll.

Gerade für junge Leute werden in diesem Alter die Weichen für ihre Zukunft gestellt. Was sind die Ziele, die tag.werk diesbezüglich verfolgt?

Die Beschäftigung im tag.werk wirkt bei den Jugendlichen stabilisierend. Stabilität ist das, was wir ihnen geben wollen. Zusätzlich sollen sie sich Basisqualifikationen wie Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Verantwortung und Durchhaltevermögen aneignen. Diese Fähigkeiten sind für sie auch in der Zukunft am freien Arbeitsmarkt unerlässlich. Darüber hinaus stärken die jungen Leute durch sinn- und identitätsstiftende Tätigkeiten ihr Selbstbewusstsein. Besonders wichtig ist das Durchleben des gesamten Herstellungsprozesses, das eigene Werk vom Anfang bis zum Ende zu bearbeiten, um dann Befriedigung durch das selbst kreierte Werk zu erfahren.

Gibt es Pläne, auch außerhalb von Graz zu expandieren?

Es gibt nicht nur Pläne, wir haben mittlerweile schon mehrere Distributionspartner, unter anderem in München und Baden bei Wien. Ich bin derzeit auch in Verhandlungen mit einem Partner in Wien. Auch dort gibt es Stores, wo unsere Taschen sehr gut reinpassen würden. Im Jahr 2012 konnten wir die Taschen unserer Jugendlichen auf den Fashionweeks in Paris und Berlin präsentieren.

In Graz verkauft ihr eure Taschen im Geschäft in der Mariahilferstraße. Kommt das Geschäft bei den Kunden gut an?

Das Geschäft ist sehr stark frequentiert und wir machen einen soliden Umsatz. Den Kunden gefällt vor allem die Individualität, die in jeder einzelnen Tasche steckt. Jede Tasche stellt ein Unikat dar. Für uns ist es sehr wichtig, dass der Kunde das Produkt an sich mag, und nicht in erster Linie einen sozialen Beitrag leisten möchte.

Die Ähnlichkeit zur Marke Freitag war gewollt?

Man kann sehr wohl sagen, dass Freitag eine Art Impulsgeber war für die Idee, „simple“ Taschen aus wiederverwertbarer Plane zu produzieren. Der grundlegende Unterschied liegt allerdings darin, dass jede unserer Planentaschen ein komplett in sich geschlossenes Einzelstück ist und die Jugendlichen sich das Design der Tasche selbst aussuchen können. Im Jahr 2011 haben wir unser Portfolio aber grundlegend erweitert und arbeiten inzwischen auch mit anderen „gebrauchten“ Materialien wie zum Beispiel Leder, Strickware, Denim und Möbelstoffe.

Mich würde eure Beziehung zum Kreativviertel Lend interessieren. Seit wann ist das tag. werk im Bezirk Lend angesiedelt?

Im Jahr 2005 ist das tag.werk in den Bezirk Lend übersiedelt. Irgendwie hat man damals schon geahnt, dass sich hier etwas tut und sich eine Kreativszene entwickelt.

Ein Viertel, das zum Trendviertel wird, birgt aber auch Gefahren in sich. Glaubst du, dass es in Lend Tendenzen zur Gentrifizierung gibt?

Dieser Gefahren ist sich der Bezirk bewusst und ich denke, dass alle Beteiligten gut dagegen arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass im Bezirk ein großes Bewusstsein herrscht. Wir sind alle gut vernetzt und die Zusammenarbeit funktioniert blendend. Vor allem der Lendwirbel hat hier positiv gegen eine Gentrifizierung gewirkt, weil da wirklich alle mitarbeiten und sich so ein Miteinander entwickelt hat.

Ich möchte zum Schluss noch einmal auf das Projekt tag.werk zurückkommen. Es hat sich zu einer Marke entwickelt, die nun auch bereits international vertreten ist. Was bedeutet das für eure Zukunft?

Die Präsenz in Berlin und Paris stärkte unser Bild und unseren Wunsch zu zeigen, dass es durchaus möglich ist, aus einem niederschwelligen Arbeitsprojekt heraus Produkte zu erschaffen, die den Titel „Designobjekt“ tragen können. Zusätzlich bedeutet diese Entwicklung eine enorme Bestätigung für unsere Jugendlichen und deren herausragende Arbeit. Das gibt Selbstvertrauen und Mut, in dieser bereits professionellen Art und Weise weiterzuarbeiten. Wir werden uns keinesfalls auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern versuchen, es noch besser zu machen.

Vielen Dank für deine Zeit und viel Glück für eure weiteren Projekte!

Nähere Infos zum Projekt tag.werk gibts auf der Homepage www.tagwerk.at.

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