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Österreich ist Überstunden-Europameister

Sie leiden an Schlafstörungen, oftmals an Diabetes und Übergewicht, haben mit Muskel- und Skeletterkrankungen zu kämpfen und ein wesentlich höheres Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben: Menschen, die über einen längeren Zeitraum 60-Stunden-Arbeitswochen absolvieren, setzen ihren Körper extremen Belastungen aus. PsychologInnen der Karl-Franzens-Universität Graz haben im Vorjahr in einem Projekt zu „Long Working Hours“ gesehen, dass diese weit verbreitete Beanspruchung – immerhin leistet etwa ein Fünftel aller unselbstständig Erwerbstätigern in Österreich regelmäßig Überstunden – einer gesundheitlichen Belastung von etwa 20 Zigaretten pro Tag gleichkommt.

Mag. Kerstin Gaisbachgrabner und Christian Einspieler, Dissertantin bzw. Diplomand in der biopsychologischen Forschungsgruppe von Univ.-Prof. DDr. Wolfgang Kallus und Univ.-Prof. DDr. Thomas Uhlig vom Institut für Psychologie, haben für das „Long Working Hours“-Projekt die wichtigen Recherche- Arbeiten vorab geleistet und festgestellt, dass das Thema in Österreich kaum Beachtung findet. „Dabei sind die ÖsterreicherInnen Überstunden- Europameister – und dementsprechend gesundheitlich gefährdet“, erzählen die NachwuchswissenschafterInnen. Kerstin Gaisbachgrabner stellte im Zuge ihrer Forschungen fest, dass nahezu jeder/jede vierte SchichtarbeiterIn an einer Fehlleistung der Schilddrüse, meist einer Überfunktion, leidet, was sich in Nervosität, Aggressivität, Stimmungsschwankungen, Herz-Kreislauf- Störungen und qualitativ minderwertigem Schlaf äußert. „Long Working Hours gehen überdies auch mit einem gesteigerten Verletzungsrisiko, unausgewogener Ernährung und gesellschaftlicher Isolation einher“, so Gaisbachgrabner. Christian Einspieler erforscht in seiner Diplomarbeit, wie sich lange Arbeitszeiten auf den Cortisolspiegel – ein Indikator für den individuellen Stresslevel – auswirken.

Die Gründe für die kollektive Überanstrengung sehen die beiden einerseits im großen Anteil hoch leistungsfähiger kleiner und mittlerer Unternehmen in Österreich, die hohen Arbeitsanfall am ehesten durch Überstunden auffangen, gestiegenen Anforderungen inklusive gesteigertem Arbeitstempo sowie wenig Wertschätzung bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Unsicherheit. Der Weg aus dem Teufelskreis liegt für die PsychologInnen in einer gemeinsamen Anstrengung der ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen: „Einerseits ist es an den Unternehmen, gesundheitliche Fehlbelastungsstörungen besser zu berücksichtigen und entsprechende präventive Leistungen anzubieten und zu fördern. Andererseits müssen sich die betroffenen Angestellten in ihrer Freizeit wirklich sorgfältig und bewusst regenerieren. Da obliegt die Verantwortung auch dem Einzelnen selbst, dieser alarmierenden Entwicklung gegenzusteuern und auf ihre persönliche Work-Life-Balance zu achten.“ Die Forschungsergebnisse zu „Long Working Hours“ an der Uni Graz fließen unter anderem auch in die Arbeit der österreichweiten, universitätsübergreifenden Plattform „Arbeits-, Organisations- & Wirtschaftspsychologie“ ein.

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