Damals, ganz am Anfang, schwebtest du, die rosarote Bildungsbrille aufgesetzt, von Kurs zu Seminar, fandest alles unglaublich toll. Gratulation, du ehemaliger Frischlingsstudi. Du glaubtest, deine Passion gefunden zu haben. Schön für dich. Doch danach kam die Ungewissheit, oder nicht?
Warum studierst du das, fragen sie dich, was willst du später damit machen, möchten sie wissen. Sie, das große Kollektiv des Bekanntenkreises über 40. Die, die schon arbeiten, wissen, was sie noch erwartet. Du hingegen, mit deinem Orchideenfach, was wirst du schon später so Großartiges machen? Angewandte Ethik, Romanistik, europäische Ethnologie, AMS Umschulung inklusive. Die Oma möchte einen Beruf wissen, du studierst ja, aber was soll sie im Lesezirkel erzählen? Zur Erklärungsnot noch der Rechtfertigungszwang, das Warum. Ständig auf der Suche nach einem Mehrwert, beinahe zwanghaft schon, Tiefgang ist eben gefragt. Privat dann das große Ringen mit sich selbst, diesen zu erreichen. Das Engagement reicht nie aus, schon wieder eine hochgestochene Wortmeldung des Sitznachbarn, warum kam mir nicht die Idee dazu. Zweifel am eigenen Intellekt zehren schließlich am Selbstwertgefühl. Tagein. Tagaus. Ich muss mich selbst erst finden, sagst du dir, wissen was ich will vom Leben. Warum ich das studiere, was ich studiere.
Wir streben nach Perfektion, nach vollkommener Erfüllung, gestehen uns dies nur selten ein. Unsere unrealistische Erwartungshaltung an die Zukunft macht uns unsicher, lässt uns hadern mit dem Weg, den wir gewählt haben. Die Unerreichbarkeit unserer Ziele wird uns nur schleppend bewusst. In fünf Jahren ein Eigenheim und alles rosig, ist ja noch lange bist dort hin. Nun ist die Zeit verstrichen, anstatt Regenbögen und Einhörnern herrscht nun die Lethargie über uns und unsere Ambitionen. Wo ist die Motivation hin, die ehemals gehegte Begeisterung, die unser Herz bei der Inskription hat flattern lassen? Der naive und wohltuende Optimismus ist uns abhandengekommen. Der, der dich für eine sinnlose Prüfung Nächte durchlernen hat lassen. Später dann, wenn wir fertig sind, so lange ist es nicht mehr hin, kommt dieser sicher wieder. Zwei Prüfungen und die Masterarbeit noch, nur noch zwei weitere Werke müssen gelesen werden, fachlich noch ein bisschen mehr in die Tiefe gehen. Finalisiert, perfektioniert, aber noch immer nicht abgegeben. Warum? Es fehlen noch ein paar Details, sagt man sich, und eine kleine Prüfung, die ist schnell gemacht. Dann das große Warten, das letzte Feilen an der Abschlussarbeit. Die Recherche. Sie zieht sich hin, die Endphase. Durch Eigenverschulden.
So kurz vor dem Abschluss, was ist die Universität nun? Nicht mehr der Bildungstempel. Sie ist zum Ort zahlreicher Rationalisierungsversuche geworden, um dem Damoklesschwert Zukunft einigermaßen Herr_in zu werden.
Nun bist du am Fertigwerden. Die Jobsuche beginnt, in ein paar Monaten solltest du deine Zeugnisse eigentlich bekommen, fehlt ja nur mehr eine kleine Prüfung. Wählen Sie Ihre Branche, heißt es, aber welche? Wo passe ich hinein, schießt dir durch den Kopf. Nun bekommst du es zurück, ein kleines Dialogfeld straft deinen ohnehin nicht mehr vorhandenen Optimismus noch zusätzlich Lügen. Der Mensch erkennt gerne Muster, ordnet noch Unbekanntes dem Bekanntem zu. Das Bekannte fehlt in der Jobsuche. Kreuzen Sie ein Berufsfeld an. Oder zwei, oder fünf. Flexibilität ist gefragt, ja, aber wie viel davon ist gesund. Der Rahmen unserer Möglichkeiten ist nicht mehr fassbar. Der Mensch wird auch unglücklich, wenn er zu viel Auswahl hat. Woher dann der Drang, uns alles offen zu halten? Wir, die Multioptionsgesellschaft. Unseres eigenen Glückes Schmied, ja, aber unzufrieden damit.
Flexibel, unkonventionell, alternativ, das schreiben wir uns auf die Fahnen. Unser Verständnis von Sicherheit hat nichts damit gemeinsam. Sie ist nur konventionell fassbar, ohne die Zukunftskomponente. Heiraten, Kinder kriegen, Angestellte_r im Büro eines krisensicheren Unternehmens. Das klingt sicher. War es bis heute eigentlich auch. Wo ist da die Schnittmenge? Sicherheit bedeutet nicht, alles offen zu lassen. Sie bedeutet, sich einzuschränken. Zukunftsängste? Euch steht doch alles offen, tont der Kreis über 40. Der arbeitende Kreis. Zuviel Auswahl macht den Menschen unglücklich. Kein Wunder, dass wir (ver)zweifeln. Wir sind gelähmt in unserem Streben nach Flexibilität, springen von Option zu Option. Die Scheu vor der Endgültigkeit ist im Endeffekt der Kern unserer Misere.
Früher einmal, da haben die Leute einfach gemacht, laut der Generation 40+. Uns schreckt der Anblick einer Karriereleiter immer mehr ab. Das letzte Drittel sieht attraktiv aus, aber welche erste Stufe ist die richtige? Entlanghanteln müsste man sich, Sprosse für Sprosse, bis die Hände vor Schwielen schmerzen, uns der Schweiß auf der Stirn steht. Verpflichten müsste man sich außerdem, ein Fuß auf drei Sprossen ist nicht möglich. Zum letzten Drittel wollen wir, urteilend aus der Ferne, aber wo nur anfangen? Aus einfach machen wird zu viel nachdenken. Nachdenken bringt einen nicht auf die erste Stufe.
Die Yolo-Gesellschaft ist nur Symptom, die perfekte Antithese als Fassade. Leichtigkeit und Sorglosigkeit versprühen, das ist das Ziel, wenn man es sich einredet, vielleicht glaubt man es auch. Was haben wir schon zu verlieren, fragt man sich. Vieles. Alles. Hinter dem Zuckerwatte-Putz bergen sich Unsicherheit und Schuldgefühle, weil wir erstere nicht verspüren sollten. Glücklich sollen wir sein, unbeschwert, wir haben ja alles. Früher war es viel schwieriger, so der Kreis über 40. Ja, schwieriger. Aber auch leichter, weil es weniger Möglichkeiten gab, den persönlichen Werdegang andauernd in Frage zu stellen. Wie können wir glücklich sein mit einer Entscheidung, wenn wir im Hinterkopf immer einen letzten Notnagel haben. Unser Rettungsanker, falls nicht doch etwas Besseres um die Ecke kommt.
Darum das große Zögern, die Lähmung im Limbus am Ende des Studiums. Darum das Verzetteln in eigentlich unwichtigen Kursen, die immer tiefer gehende Recherche für die Abschlussarbeit. Es ist ein mentaler Anker, der uns einerseits festhält am mental noch fassbaren universitären Umfeld. Der uns andererseits zurückhält, davon abhält, aus der Leere auszubrechen. Wir haben das Hindernis unterbewusst lieb gewonnen. Es ist eine Hass-Liebe, die uns nächtelang durchlernen und tagelang in Lethargie schwelgen lässt.
Autorin: Sandrine Fackner
Erschienen in der Print-Ausgabe 2 2015/16, S. 4f