
Der römische Gott Janus symbolisierte schon in der Antike die berühmten zwei Seiten der Medaille und die Erkenntnis, dass alles Gute auch etwas Böses in sich birgt. Eine Weisheit, die sich auch problemlos auf soziale Netzwerke umlegen lässt. Im Rahmen der Flüchtlingskrise wechseln sich hier Licht und Schatten ab.
Doch vieles geschieht auch im breiten, neutralen Spektrum zwischen diesen beiden Polen. Für viele gilt der neutrale, fast schon bürokratische Tweet des Auswärtigen Amts als der Beginn der Flüchtlingsbewegungen nach Europa. „#Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt.“ twitterte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (@BAMF_Dialog) am 25. August 2015. Natürlich ist es eine verkürzte Annahme, dass es lediglich eines Tweets bedarf, um eine Migrationsbewegung auszulösen, zumal der syrische Konflikt schon 2011 ausbrach und spätestens ab 2015 geopolitische Ausmaße annahm. Also kann auch nicht von einer Überraschung gesprochen werden.
So überrascht sich einige Politiker_innen gaben, so wenig überrascht waren die Helfer_innen aus der Zivilgesellschaft. In den Sommer- und frühen Herbstmonaten des vergangenen Jahres organisierten unzählige freiwillige Helfer_innen via Facebook und Twitter unter dem Hashtag #trainofhope schnell und unbürokratisch Hilfe an den großen Bahnhöfen Österreichs. Auch in der Steiermark wurde die Facebook-Page „Flüchtlinge Willkommen in der Steiermark“ zur Koordinationsstelle, um jenen zu helfen, die über den Grenzübergang Spielfeld nach Österreich gelangt sind.
So wurden soziale Netzwerke schnell zu Tools jener zivilgesellschaftlichen Hilfe, die unabhängig von überforderten staatlichen Institutionen funktionierte. Durch sie wurde auch jenes Bild beziehungsweise Narrativ von Österreich als helfendes, gastfreundliches Land geschaffen, in dem die Menschen oftmals weiter sind als die Politiker_innen, die sie vertreten.
Doch dem positiven Narrativ der österreichischen Willkommenskultur folgte rasch eine Gegenreaktion. Speziell auf Facebook waren die Kommentarfelder unter den entsprechenden Postings voller verhetzender und wütender Kommentare gegen Flüchtlinge. Der Hass und das Misstrauen, welche sich gegen Geflüchtete, traditionelle Medien und Demokratie in den sozialen Medien entluden, überraschte viele Beobachter_innen. In der Flüchtlingskrise prallten zwei (Medien-) Realitäten aufeinander, die sonst nicht zueinander finden.
Wir alle bewegen uns in unseren eigenen, gefilterten Onlineblasen. Wir werden selbst zu Gatekeepern, indem wir uns Informationsquellen selbst zusammenstellen: Der eine likt beispielsweise Die Zeit, Armin Wolf und noch einige Grünpolitiker_innen, der nächste H.C. Strache, unzensuriert.at und eventuell noch Die Presse, die meisten aber einen bunten Mix aus diversen Informationsquellen. Uns allen ist lediglich gemein, dass sich jede_r seine Onlineblase gemäß seiner Weltsicht zusammenbaut, jedem_jeder seine eigene Echokammer.
Und genau diese Echokammern prallen nun am gemeinsamen Thema Flüchtlingskrise aufeinander. Die Kommentarfelder zu Artikeln mit Bezug zur Flüchtlingskrise waren und sind voller negativer, teilweise extrem verhetzender Kommentare. Hier treffen Meinungen aufeinander, die zuvor in getrennten Blasen oft widerspruchslos geäußert und verstärkt wurden und die sich nun in einem Kampf um die Öffentlichkeit befinden. Der gebotene analoge Vergleich: War es im vordigitalen Zeitalter der oft zitierte Stammtisch im verrauchten Beisl, an dem deftige Meinungen und Unmutsäußerungen vorgetragen wurden, so dringen diese Aussagen nun im digitalen Raum an die Öffentlichkeit, wo sie für jede_n ersichtlich sind. Nur ob jene, die besonders lautstark für sich in Anspruch nehmen, des Volkes Stimme zu sein, wirklich in dessen Namen sprechen, ist fraglich. Denn auch hier gilt eine bekannte Social Media Regel: Soziale Netzwerke sind wie eine Bühne, 90% der Social Media Nutzer_innen sehen lediglich zu und liken manchmal, nur 10% sind wirklich aktiv.
Die etablierte Politik reagiert höchst unterschiedlich auf diese mediale Entwicklung. Während die ehemals großen Volksparteien in dieser Krise den sozialen Medien hilflos begegnen und auf ihre altbekannten Medienstrategien bauen, bewegen sich Oppositionsparteien wie die Grünen oder die FPÖ wesentlich natürlicher auf Facebook und Co. Letztere nutzen diese Medien geschickt, um eine alternative Medienöffentlichkeit abseits der etablierten Medien zu schaffen. Sie und andere Gruppen „patriotischer Menschen“ umgehen so die klassischen Gatekeeper und können ihre politischen Inhalte und Narrative praktisch ungefiltert und in einer passenden Sprache an ihr Publikum bringen. Zudem positionieren sich führende Politiker_innen als eigene Nachrichtensender und ihre Pinnwände werden zu öffentlichen Foren, die mehr oder weniger moderiert Stimmung generieren.
Dass hier oftmals auch zu mehr als fragwürdigen Mitteln gegriffen wird, um die eigene politische Agenda zu propagieren, ist Teil des politischen Spiels. Seiten wie mimikarma.at und diverse Facebook-Gruppen versuchen ebendiese Taktiken aufzuzeigen. Dass sich durch soziale Medien Inhalte leicht (ver-)fälschen lassen, um Menschen zu manipulieren, ist auch eine traurige Wahrheit. So tauchten beispielsweise Screenshots aus Facebook-Gruppen auf, in denen nach Frauen für Flüchtlinge gesucht wurde. In den entsprechenden Echokammern wurden diese Bilder schnell verbreitet und lösten Empörung aus. Der Haken: Die entsprechenden Gruppen wurden nur für den Zweck der Fälschung erstellt, der (gefälschte) Post verfasst, abfotografiert und nach einigen Tagen wieder gelöscht. Das ist die digitale Version der Mundpropaganda. Wenn das Vertrauen in die klassischen Medien fehlt, vertraut man leicht jenen, um in den Worten eines verstorbenen Kärntner Landeshauptmanns zu sprechen, die „einen noch nie belogen haben“.
Eine Perspektive wird in der Betrachtung der Flüchtlingskrise oftmals außen vorgelassen: jene der Geflüchteten selbst. Insbesondere am Beginn der Krise war die Tatsache, dass die Syrer_innen, Iraker_innen und Afghan_innen moderne Smartphones besitzen, für viele Menschen unverständlich. Aber selbstverständlich nutzen Flüchtlinge soziale Medien. Einerseits um mit den Verwandten und Freund_innen in ihren jeweiligen Heimatländern Kontakt zu halten und sich über deren Wohlergehen zu informieren, andererseits um sich im für sie fremden Europa zu organisieren und zurechtzufinden. Auch auf Facebook und WhatsApp existieren unzählige Gruppen, von Flüchtlingen für Flüchtlinge. Nur ein Beispiel ist die Facebook-Gruppe „Pfade der Menschen mit den Koffern“ (Name natürlich aus dem Arabischen übersetzt), ein Forum mit Informationen über Routen, Städte und Einrichtungen. Hier werden Fragen wie „Wie sind die Behörden in Graz?“ gestellt. Rund 180.000 Menschen sind Mitglieder dieser Gruppe. Somit werden Facebook, Twitter und WhatsApp zu Portalen für Insiderwissen und Strategien.
Im selben Ausmaß, in dem Orientierung für geflüchtete Menschen über die sozialen Medien organisiert wird, wird in denselben Medien gegen Flüchtlinge mobilisiert. Hass und Hilfe liegen hier meist nur einen Klick entfernt, selten zeigten sich die beiden Seiten der Medaille so deutlich wie in der Flüchtlingskrise.
Autor: Bernhard Schindler
Erschienen in der Print-Ausgabe 3 2015/16, S. 8f