Autor_innen: Markus Trebuch, Katharina Gruber, Florian Lackner
Das Wort Postfaktizismus ist wie ein Campino: Jede_r hat es schon mal in den Mund genommen, aber niemandem will es so richtig schmecken. Das liegt vermutlich einerseits an der 24/7-Penetration, der wir uns im Kontext dieses Wortes derzeit gegenüber sehen, andererseits aber auch daran, dass so getan wird, als wären diese Entwicklungen neu. Wiktionary sagt, „postfaktisch“ bedeutet „auf Gefühlen, nicht auf Tatsachen beruhend“. In den frühen 2000er-Jahren entstanden, erfuhr der Begriff vor allem im letzten Jahr eine Renaissance, dem Brexit-Referendum und Donald Trump sei Dank. Da wie dort wurde in Pippi Langstrumpf-Manier die Welt widewide wie sie ihnen gefällt zurechtgerückt. Auch in Österreich gibt es Politiker_innen und Parteien, die sich gerne im postfaktischen Raum bewegen. Doch worauf fußt der Erfolg dieses Vorgehens? Und warum rückt uns das gerade jetzt so sehr ins Bewusstsein? Obgleich es viele verschiedene Begründungen dafür geben mag, sollen exemplarisch zwei herausgegriffen werden:
Die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hat einmal gesagt, dass die Wahrheit dem Menschen zumutbar sei. So sehr dieser Satz auch zutreffen mag, wird dieser Prozess nicht fiktionsfrei ablaufen können, wenn diese Wahrheit nicht in meine Weltanschauung passt. Und dieses Faktum nutzen Populist_innen aus. Sei es der Groll auf die EU in Großbritannien, die Wut auf „die da oben“ in den USA oder der unbegleitete minderjährige Flüchtling in Österreich, der mir vermutlich Haus, Hof, Kind, Kegel, Leib und Leben nehmen will. Richtig kanalisiert stechen Gefühle Fakten jederzeit aus. Dass es in Österreich seit dem Spätsommer 2015 niemandem von uns schlechter geht, ist nur ein lästiges Detail am Rande, das uns die „Lügenpresse“ weismachen will. So weiß doch jedes Kind, dass Flüchtlinge alle zwei Wochen ein neues iPhone und 4185,21 Euro Taschengeld bekommen, die uns Systemerhalter_innen weggenommen werden.[1] Zumindest hat das die Arbeitskollegin des Schwagers meines Nachbarn kürzlich auf Facebook gelesen. Und hier kommt der zweite wichtige Faktor ins Spiel.
Bei der Verbreitung dieser individuellen Wahrheiten wird der mobilen Technologie eine große Rolle zuteil. Wir alle, die wir ein Smartphone besitzen, tragen das Wissen der gesamten Welt in unseren Hosentaschen. Statt dies jedoch zu nutzen, um uns detailliert zu informieren, ziehen wir uns Katzenvideos rein, retweeten, sharen unhinterfragt und unreflektiert alles, was uns so vor das Retina-Visier kommt. „Das hab ich auf Facebook gelesen“ ist das „Das hab ich bei Galileo gesehen“ von heute. Die vermeintliche Schwarmintelligenz der Online-Community verkommt zur blinden Herde. Auch hier gilt wieder: feelings > facts. Und wenn sich die Informationen aus der Gratiszeitung meines Vertrauens, aus dem Mund meines favorisierten Bundespräsidentschaftskandidaten und aus dem Facebook-Posting eines berühmten Weltall-Springers so schön in meine gefühlte Wirklichkeit fügen – so wahr mir Gott helfe, das muss stimmen!!!!!1!!1elf!
Dem Treiben des Postfaktizismus lässt sich nur mit Fakten entgegenhalten. Dafür bedarf es aber einer gewissen Ausdauer im Umgang mit den Verfechter_innen der oftmals kruden Theorien. Doch Übung macht den Meister! Und wer weiß, vielleicht bietet sich beim familiären Weihnachtsessen schon die passende Gelegenheit.
[1] Diese Zahlen sind zwar frei erfunden, fühlen sich aber so an, als könnten sie wahr sein.