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Allgemein

Ich fühle mich diskriminiert

Autorinnen: Kathrin Jarz, Felicitas Frölich, Rebecca Gaiser
für das Referat für feministische Politik

Ein neuer Sentimentalismus breitet seinen Flausch in der Gesellschaft aus. Die eigenen Gefühle stehen dabei im Zentrum und geben Rechtfertigung für das Handeln. „Ich fühle, ich muss mich selber finden und deshalb gehe ich jetzt mal auf Reisen.“ Der Bezug auf das eigene Gefühlsleben dient als Absolution für alles (nicht) Getane, schließlich „will ich das ja (nicht)“. Das reicht als Erklärung in den meisten Fällen aus. Der neue Sentimentalismus wirkt nicht nur in privaten, emotionalen Assoziationen auf die Umwelt, sondern dringt auch immer wieder in das weite Feld politischer und rechtlicher Bewegungen ein und trifft dabei insbesondere die Diskriminierung und Benachteiligung. „Ich fühle mich (als Mann) diskriminiert, ich fühle mich gemobbt, ich fühle mich belästigt, ich fühle mich ungerecht behandelt.“

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Als Referat für feministische Politik sind wir täglich mit der Gefühlsebene von Menschen konfrontiert. Wir schätzen den Mut, die Offenheit und das Vertrauen der Menschen, mit uns über Schwierigkeiten, peinlich erlebte Situationen und oft auch Schmerz sowie persönliche Kränkung offen zu sprechen. Gleichzeitig wissen wir über den inflationären Sprachgebrauch, gerade wenn es um gefühlte <Diskriminierung>[1] geht, bestens Bescheid. Wie kann ein aktueller Feminismus mit dem Gefühlsleben der Menschen ernsthaft umgehen und gesellschaftlich wirksam sein, ohne sich dabei selbst ad absurdum zu führen, weil plötzlich selbst das Parfum des/r Arbeitskolleg_in zur gefühlten Belästigung führt? Kann es hierbei Grenzen geben?

Diskriminierung als Hashtag

Diskriminierung ist zu einem Hashtag geworden, zu einem wandelbaren Tatbestand, der abhängig von der eigenen Gefühlslage und dem Kontext eingesetzt wird. Im Unterschied zum Label, das immer gleich ist, setzt ein Tag situationsabhängige Filterkriterien. So fühlen sich plötzlich auch heteronormativ sexistisch agierende Menschen in einer bestimmten Situation in ihrer Kernexistenz vom Feminismus diskriminiert. So kann schnell ein neuer Schulplan für Sexualpädagogik zum Inbegriff einer Gender-Gehirnwäsche werden, die das Ziel verfolgt, unser soziales System mit samt unserer modernen Ordnung der Geschlechter (und der damit legitimierten Geschlechterhierarchie) für ungültig zu erklären. Auch eine geschlechtergerechte Sprache wird als zu viel Aufwand empfunden, als Ideologie, die der Gesellschaft aufgezwungen wird. So äußerte sich der norwegische Attentäter und bekennende Rassist, Antisemit und Antifeminist Anders Behring Breivik, dass die political correctness eine Feminisierung der europäischen Kultur bedeuten würde und somit einem Krieg gegen europäische Männer gleichzusetzen sei.

Was tun und wie damit umgehen?

Für uns als Referat für feministische Politik ist es wichtig festzuhalten, dass Gefühle Teile des innerpsychologischen menschlichen Bereiches sind. Wir sind eine institutionalisierte Organisation und greifen nicht in die höchst persönliche Welt der Gefühle und Meinungen anderer Menschen ein. Dies tun nur totalitäre Systeme. Totalitäre Staaten versuch(t)en, die Gefühle der Menschen zu steuern. Frau denke hier an den Stalinismus oder Nationalsozialismus, die in alle sozialen Verhältnisse hinein zu wirken strebten. Das war oft mit dem Anspruch verbunden, einen „neuen Menschen“ gemäß einer bestimmten Ideologie zu formen.

Institutionen, wie das Referat für feministische Politik, können nicht nach dem Gefühlsleben der Menschen funktionieren. Moderne, liberale, westliche Staaten organisieren die Bürger_innen auf mehreren Ebenen: auf der individuellen Ebene (Mann, Frau, Familienstand, Religion etc.), auf Ebene der Fähigkeiten (Schulsystem) und auf der Ebene des Handelns. Normen mit Rechtsfolgen (beispielsweise das Strafrecht) können nur auf beobachtbares, aktenkundiges Handeln abzielen. Ansonsten ist kein rechtsstaatliches Handeln möglich. Frau stelle sich einen Strafrechtsprozess vor, der nicht auf beobachteten Sachverhalten beruht, sondern auf der emotionalen Rezeption der Zeugen, also auf deren Gefühlen. Wollen wird das?

Wenn sich also ein (Mann)[2] vom (Feminismus)2 <diskriminiert>1 fühlt, ist dies aus therapeutischer Sicht ein ernstzunehmendes Thema. Das Referat für feministische Politik kann das als Institution juristisch jedoch nicht klären. By the way: Der Großteil der Frauenbewegung (wozu auch wir uns zählen) ist über den Punkt hinausgewachsen, als nur Frauen für ihre Rechte einzustehen versuchten. Inzwischen versteht sich der Feminismus als eine gesamtgesellschaftliche Bewegung gegen gesellschaftliche, strukturelle Diskriminierung und Unterdrückung. Dabei setzen sich Menschen, egal welchen Geschlechtes oder welcher sexuellen Orientierung, Seite an Seite ein. Es scheint selbstverständlich, dass sich in diesem Zuge auch Männer aus ihren gesellschaftlich normierten Zwängen und Stereotypen herauslösen wollen. Wer will schon als triebgesteuertes Wesen gelten, das sich beim Anblick eines Minirockes nicht beherrschen kann?

Fußnoten

[1] Hier geht es rein um die Gefühlsebene, welche die strukturelle Ebene der Diskriminierung unter keinen Umständen untergraben soll. Alleinerziehende beispielsweise können sich diskriminiert fühlen, sie sind es aber auf struktureller gesellschaftlicher Ebene tatsächlich, unabhängig ihrer Gefühlslage. Zudem sei hier auf die horizontale und vertikale Arbeitsmarktsegregation hingewiesen, die ebenfalls eine systematische gesellschaftliche Diskriminierung in sich trägt.

[2] Beispiel, das durch beliebige Player ersetzt werden kann.

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