Das Thema Hate-Speech im Internet ist in aller Munde. Gesetze werden in Parlamenten diskutiert, entworfen und wieder verworfen. Währenddessen wird in den sozialen Medien fröhlich weiter beleidigt, belästigt und bedrängt. Wir haben uns Mal auf dem Campus der KF umgehört und gefragt: welche Erfahrungen haben die Grazer Studis schon mit Hate-Speech gemacht?
20% betroffen
Wir treffen Nina (Anmerkung: Name von der Redaktion geändert) auf dem Campus. Sie hat uns gebeten ihre Anonymität zu wahren, zu unangenehm sind die Erfahrungen, die sie schon jetzt mit Belästigungen im Netz gemacht hat. Diesem Risiko will sie sich nicht noch einmal aussetzen. Nina ist eine von vielen Student_innen, die sich über Facebook auf unsere Suche nach Betroffenen von Cyber-Mobbing gemeldet haben. Wir waren überrascht über die Menge an Zuschriften, die uns erreicht haben. Angesichts der neuesten Zahlen der europäischen Kommission hätten wir eigentlich vorbereitet sein müssen. Laut der Kommission haben 20% aller Frauen in der EU im Alter von 18 bis 29 Erfahrungen mit Online-Belästigung gemacht. Weitere 11% aller Frauen wurden bereits Opfer eines Cyber-Stalkers.
„Ich habe das Gefühl, dass manche Menschen die Anonymität der sozialen Medien als Einladung dafür sehen andere fertig zu machen“
Auch Nina musste leider solche Erfahrungen machen. Sie sitzt uns gegenüber, in einen warmen, grauen Pullover gekleidet, mit einer Tasse heißem Kaffee und erzählt von ihren Erfahrungen. Nina engagiert sich seit Jahren für eine Gruppe, die sich für soziale Belange einsetzt und stand deshalb auch schon öfter in der Öffentlichkeit. „Ich habe das Gefühl, dass manche Menschen die Anonymität der sozialen Medien als Einladung dafür sehen andere fertig zu machen,“ sagt sie. „Die schlimmste Erfahrung, die ich gemacht habe war, als ich mit Bild in einem Artikel über die Arbeit meines Vereins in der Zeitung erschien. Nur ein paar Stunden später hagelte es Hasskommentare. Darunter auch Vergewaltigungsandrohungen, das hat mich ganz besonders hart getroffen.“ Die Gruppe, für die sie sich engagiert, arbeitet mit Geflüchteten. „Eigentlich würde man meinen, dass Leute es gut finden, wenn man anderen hilft. Das war leider gar nicht der Fall,“ sagt Nina nachdenklich und nimmt einen Schluck Kaffee, „einer der Kommentierenden wünschte mir sogar, dass ich von diesen ‚Ratten‘ mal so richtig ‚rangenommen‘ würde“.
„Nur das Internet“
Was Nina beschreibt, ist leider auch für viele andere Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen ein Problem. Aber nicht nur das. Auch Menschen wie du und ich geraten online häufig unter Beschuss. 40% der Betroffenen geben dabei laut der EU-Komission an, die Täter nicht zu kennen. Das deckt sich mit den Nachrichten, die wir von KF-Student_innen bekommen haben. Die meisten erzählen, dass sie von Unbekannten in Kommentarspalten in den sozialen Medien belästigt oder beleidigt wurden. Einige berichten auch von Bekannten, die demütigende Bilder online verbreiteten.
Aber was Nina am meisten schockierte, war, dass ihr Umfeld auf ihre Erfahrungen mit Unverständnis reagierte. „Mich hat das richtig erschreckt,“ erzählt sie, „ich habe mich nicht mehr wirklich sicher gefühlt nach den ganzen Drohungen und Beleidigungen, die auf den Artikel folgten. Meine Freunde und Familie haben das nicht wirklich verstanden. Sie meinten, es sei doch nur das Internet.
„Nur das Internet“ ist so schnell daher gesagt, aber durchschnittliche junge Österreicher_innen verbringen wöchentlich etwa 22 Stunden im Internet. „Man hat ja schon fast das Gefühl, dass es dieser ganze Hass normal sei,“ schrieb uns KF-Studentin Maria, „die normalen Leute setzen auf Facebook einfach nichts mehr entgegen. Fast noch schlimmer ist nur noch Youtube, wenn man sich da die Kommentare durchliest könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Welt nur noch aus Verschwörungstheoretikern und Verrückten besteht.“ Oft wird das Gefühl vermittelt, dass nur Handlungen in der „realen Welt“ reale Konsequenzen aber könnten – das ist Quatsch. Die psychischen Folgen für die Betroffenen sind mehr als echt.
Wir fragen uns: Ist es einfach nur eine laute Minderheit, die im Netz hetzt, oder ist es mittlerweile salonfähig geworden?
Die Täterfrage
Die Frage ist schwer zu beantworten. Es gibt bereits diverse Studien über von Hass im Netz Betroffene. Der Großteil ist Frauen, das ist wenig überraschend. Was aber schwierig zu erforschen ist, sind die Täter_innen. Oft verstecken sie sich hinter der Anonymität des Netzes oder verschleiern aktiv ihre Identität. Facebooks Klarnamen-Zwang half dagegen kaum bis gar nicht.
Die rechtliche Lage ist verzwickt. Natürlich will man nicht unbedingt seinen echten Namen auf Facebook stellen und erst recht nicht andere wichtige Daten, anhand derer man identifiziert werden könnte. Facebook kann all diese Daten nutzen und dagegen müssen und sollten wir uns schützen. Gleichzeitig sollte es aber auch mehr Schutz gegen Gewalt im Netz geben. Es ist ein Dilemma.
Betroffene sind oft ratlos. Anzeigen laufen meistens ins Leere und Gesetzesentwürfe landen schneller im Müll als ein Hater im Netz „du dummer Idiot !1!!“ tippen kann. Die Debatte um gesetzliche Regulationen ist komplex. Gegner_innen sehen die Meinungsfreiheit durch derartige Vorhaben bedroht. EU-Justizkommissarin Věra Jourová machte dieses Jahr allerdings mehrfach klar, dass die Meinungsfreiheit in Europa „nicht absolut“ sei. Rechtswidrige Inhalte wie Hassrede, Beleidigungen oder Aufforderung zur Gewalt müssten geahndet werden.
Was wird getan?
Seit 2016 gibt es einen EU-Verhaltenskodex, bei dem sich Unternehmen wie Facebook und Co. dazu verpflichten, rechtswidrige Inhalte zu löschen und Nutzer_innen gegebenenfalls zu sperren. Facebook kündigte an, in Zukunft härter vorgehen zu wollen – Viel passiert ist seitdem allerdings noch nicht. Noch Ende 2017 hatten BBC-Journalist_innen im Zuge einer investigativen Reportage unzählige kinderpornographische Inhalte auf Facebook gemeldet. Die Reaktion des Unternehmens: nur 18 der zahlreichen problematischen Inhalte wurden gelöscht und die Journalist_innen wurden angezeigt. Warum?
Ironischerweise wegen Verbreitung von Kinderpornographie. Wenige Monate vorher hatte sich der Konzern noch dankbar für die Unterstützung der BBC gezeigt, den Algorithmus in Bezug auf unangemessene Inhalte zu verbessern. In diesem Fall war von Dankbarkeit allerdings nichts mehr zu spüren. Allgemein scheint Facebook eher auf der Bremse zu stehen. Das bestätigt auch ein Insider-Bericht eines deutschen Mitarbeiters auf mobilegeeks.de. Er packte im Interview anonym über die Vorgehensweise in Bezug auf Hate-Speech und co aus und es zeigte sich: den Mitarbeiter_innen sind durch das Regelwerk von Facebook oft die Hände gebunden. Grob gesagt gilt: im Zweifel für den angeklagten Inhalt.
Für Nina und alle Betroffene können wir nur hoffen, dass das sich bald ändert und Facebook die Gefahr, die von Hassrede ausgeht endlich ernst nimmt. Bis dahin ist es ein wichtiger Schritt über solche Erfahrungen reden und nicht aus Scham den Mund zu halten. Denn wenn die Betroffenen schweigen, haben die gewonnen, die am meisten Lärm machen.
Autorin: Larissa Eberhardt
Bildquelle: pexels.com