Von Valerie Lehmann
Kennst du das große Segelschiff mit den grünen Segeln? Das Schiff fährt nicht nur für Becks Bier in der Werbung, sondern ist ein Segelschulschiff für jedermann und jederfrau. Das heißt, auch ohne jegliche Segelerfahrung kannst du auf dem Schiff mitfahren. Da ich wieder einmal Segeln wollte, meldete ich mich dieses Jahr für einen Törn im Juli von Harlingen (Niederlande) nach Antwerpen (Belgien) an.
Los ging es für mich mit dem Nachtzug von Wien nach Amsterdam. Von dort aus fuhr ich mit dem Zug noch ein paar Stunden weiter nördlich nach Harlingen. Vom Bahnhof aus sah ich sie schon, die „Alexander von Humboldt 2“ mit ihren auffälligen gelben Masten und grünen Segeln. Im Hafen lagen noch viele weitere Segelschiffe aus der ganzen Welt.
Meine Reise war nämlich ein Teil der „Tall Ships‘ Races“. Dies ist eine Art Regatta für Großsegler und Kleinsegler. 2022 nahmen 40 Schiffe daran teil. Die Non-Profit Organisation „Sail Training International“ organisiert jährlich diese Rennen. Ziel ist es, junge Menschen für das Segeln zu begeistern und die Völkerverständigung zu fördern. Voraussetzung ist deswegen, dass mindestens die Hälfte der Besatzung zwischen 16 und 25 Jahre alt sein muss. Die Tall Ships‘ Races werden von verschiedensten kulturellen und sportlichen Veranstaltungen in den Häfen begleitet.
Am Schiff angekommen bekam ist als Erstes einmal eine Kammer (Zimmer) und eine Koje (Bett) zugeteilt. Du merkst schon auf Schiffen gibt es für vieles eigene Wörter, hier noch ein paar weiter Beispiele: Die Küche heißt Kombüse und der Speisesaal Messe. Statt Achtung sagt man Wahrschau. Rechts ist steuerbord, links ist backbord und hinten heißt achtern.
Im Laufe des Tages trudelten die restlichen Mitsegler*innen am Schiff ein. Grundsätzlich besteht die Besatzung des Schiffes aus der sogenannten Stammcrew und Trainees wie mir. Insgesamt haben ca. 70 Personen Platz am Schiff. Die Stammcrew sind Ehrenamtliche, wie der/die Kapitän*in, die Steuerleute, die Maschinist*innen, die Elektriker*innen, die Köch*innen, ein*e Bordärzt*in, die Bootsleute, die Toppsmatros*innen, die Matros*innen und die Leichtmatros*innen. Der/die Kapitän*in und die Steuerleute fahren oder fuhren selbst hauptberuflich zur See. In ihrem Urlaub oder in ihrer Pension helfen sie hier auf der Alex mit. Die Matros*innen sind Großteiles Amateur-Seeleute. Sie sind ehemalige Trainees, die durch häufiges Mitfahren und Engagement vielfältige Segel-Kenntnisse erlernt haben. Die Trainees machen „Urlaub“ am Schiff, müssen aber auch aktiv mitanpacken.
Der Hafen in Harlingen war voller Stände und am Abend konnte man sich verschiedenste Livebands anhören. Gemeinsam mit meinen neu kennengelernten Mitsegler*innen besuchte ich andere Schiffe und schaute mir den Sonnenuntergang an. Nach dem Hafenfest in Harlingen ging es am nächsten Vormittag gemeinsam mit den anderen Segelschiffen in einer Auslaufparade raus auf die Nordsee. Zuerst fuhren wir noch unter Motor, doch nach ein paar Stunden setzten wir schon die ersten Segel.
Wie in der Seefahrt üblich wurde ich in eine von insgesamt drei Wachen eingeteilt. Ich wurde der 4-8 Wache zugeteilt. Das heißt, ich hatte täglich von 4 Uhr bis 8 Uhr in der Früh und von 16 Uhr bis 20 Uhr Schicht. Zwischen den Wachzeiten hat man 8 Stunden frei. Neben der 4-8 Wache gibt es noch die 8-12 Wache und die 0-4 Wache. Eine Wache besteht immer aus einem Steuermann, der für die Navigation, den Kurs und die Veranlassung von Segelmanöver zuständig ist, Matros*innen (Stammmanschaft) und Trainees. Der/die sogenannte Topsi (Topsmatros*in) steuert die Segelmanöver an Deck, sagt uns allen also was zu tun ist.
Die Wache ist zuständig für den Schiffsbetrieb v.a. für Segelmanöver (Setzen und Bergen von Segeln), Ausguck, Ruder (Steuern des Schiffs), Wetterbeobachtungen, Kontrollgänge und Wecken der nächsten Wache.
Wenn ein gewisses Segelmanöver anstand, wurde uns dieses von der Stammcrew ganz genau und Schritt für Schritt erklärt. Dann mussten wir auch selbst mitanpacken. Während sich ein Teil der Wache um die Segel kümmert, muss eine Person der Wache immer vorne am Schiff stehen und Ausguck machen. Das heißt beobachten, welche Schiffe oder andere Objekte, wie z.B. Baumstümpfe in der Nähe sind. Die beobachteten Dinge werden dann dem Steuermann berichtet und mit dem Radar auf der Karte in der Brücke abgeglichen. Der/die Rudergänger*in hat die verantwortungsvolle Aufgabe, das Schiff zu steuern. Am Anfang steht noch jemand von der Stammbesatzung zur Hilfe daneben, doch nach kurzer Zeit verstehen die meisten das Prinzip und steuern den vorgegebenen Kurs ganz alleine. Das Wetter zu beobachten ist eine weitere Aufgabe während der Wachzeiten. Um Wetterumschwünge frühzeitig erkennen zu können und um Wetterdiensten Daten zur Verfügung zu stellen, wird die Wassertemperatur, Bewölkung, Lufttemperatur, Druck etc. notiert. Am Ende der Wache weckt einer die nächste Wache auf. Am Schiff sind nämlich keine Wecker erlaubt.
In der Zeit zwischen den Wachen, der Freiwache, habe ich meistens geschlafen, gelesen, mich an Deck in die Sonne gelegt oder habe mit den anderen Mitseglern geredet. Es gibt auch sogenannte „All Hands Manöver“ da müssen alle, auch die, die gerade Freiwache haben, an Deck und mitanpacken.
Einmal ist man von seiner Wache freigestellt für die Backschaft. Einen Tag lang ist man dann für das Abspülen, Klo putzen, Saugen, Wischen, Tisch decken („aufbacken“) und Essen servieren zuständig. Am Schiff gab es deftige Hausmannskost, drei Mahlzeiten pro Tag und manchmal zusätzlich noch einen Kuchen am Nachmittag. Bei der vielen frischen Luft und Bewegung braucht man das auch.
Ein Highlight der Reise war das sogenannte „Captains Dinner“. Dazu zauberten unsere beiden Köche ein superleckeres Barbecue an Deck. Alle waren schick angezogen, es gab Bier vom Fass, die Steuerleute waren für den Abwasch zuständig und bis spät in die Nacht wurde getanzt.
Nach einigen Tagen auf See ging es die Schelde entlang in den Hafen von Antwerpen. Dort wurden wir schon erwartet. Es gab eine Hafenparade mit allen Besatzungsmitgliedern der teilnehmenden Schiffe durch die Altstadt und am Abend eine Crew-Party mit Feuerwerk. So viele Segelschiffe auf einem Haufen zu sehen war schon sehr beeindruckend.
Von mir aus hätten wir aber noch ein paar Tage länger auf See bleiben können, ich habe die Weite, die Ruhe und das nicht vorhandene Handynetz sehr genossen. Ich konnte meine Alltagssorgen an Land lassen und eine Woche richtig abschalten. Entspannungsurlaub ist es aber definitiv keiner, da an Bord immer viel zu tun ist.
Wie teuer ist jetzt so eine Reise überhaupt? Ich habe für 9 Tage am Schiff mit Vollverpflegung 842€ bezahlt. Da die Alex 2 Mitgliedsschiff im Verein S.T.A.G. (Sail Training Association Germany) ist, kann man dort noch um eine Jugendförderung ansuchen und bis 33€ pro Tag zurückbekommen.
Hast auch du Lust bekommen zu segeln? Dann sehen wir uns vielleicht nächstes Jahr bei den Tall Ships‘ Races.
Infos zur S.T.A.G., zur Alexander von Humboldt und zu den Tall Ships‘ Races bekommst du hier: