Eine Literaturkritik von Hanna Dornhofer
Oscar Wilde war eine faszinierende Persönlichkeit, er war aber vor allem ein Dandy, wie er im Buche steht. Er war stets gut gekleidet und anscheinend ein guter Gesprächspartner. Kurz gesagt: Die Londoner Gesellschaft des 19. Jahrhunderts verehrte ihn. Doch dann kam sein Fall: Nachdem ihm eine homosexuelle Beziehung mit Lord Douglas nachgewiesen wurde, musste er ins Gefängnis und starb an den Folgen der dortigen Bedingungen etwas später nach seiner Freilassung in Paris. Dieser Skandal wurde nicht zuletzt durch seinen Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ ausgelöst.
Die Handlung ist eher einfach gestrickt, jedoch sehr durchdacht: Der schöne und junge Dorian Gray wird porträtiert und wünscht sich, dass sein Abbild statt ihm altert und er immer jung und schön bleibt, dafür würde er auch seine Seele geben. Der Wunsch wird ihm erfüllt und sein Bild spiegelt seine Seele wider. Von dem zynischen Lord Henry Wotton wird der schöne Jüngling zu fehlerhaftem Verhalten verleitet, badet aber auch im Ansehen der Gesellschaft und schreckt schlussendlich auch vor Mord nicht zurück. Ganz alla Freundschaft zwischen Mephisto und Faust nimmt also die Handlung so ihren Lauf. Zunehmend wird Dorians Leben zu einem Doppelleben zwischen Abgrund und glänzender, nie bröckelnder Oberfläche, denn sein wahres Gesicht auf dem Bild verbirgt er vor der Welt. Am Ende steht doch das schlechte Gewissen, denn seine Taten gehen nicht spurlos an ihm vorbei: Soll Dorian nun also das Bild, das an all seinen Sünden schuld ist zerstören?
Wilde schaffte mit seinem (symbolistischen) Roman ein Werk, dass man einfach gerne liest und jeder auch einmal gelesen haben sollte. Dank der teils witzigen und erheiternden Dialoge der Aristokratie in London werden die Handlung und die sonst etwas düsteren Schilderungen von Dorians Verhalten aufgelockert.
„Das Bildnis des Dorian Gray“ könnte aber auch nicht aktueller sein, denn Selbstdarstellung und die Jagd nach dem perfekten Selfie sind omnipräsenter denn je. Natürlich spürt man aber auch ganz klar immer wiederkehrende gegenseitige Hinneigungen der Protagonisten zueinander. Später wurden eben genau diese Momente im Prozess gegen Wilde als Beweismittel herangezogen.
Auf jeden Fall ist auch die Motivik des Narziss‘ aus der Mythologie in Dorian wiederzuerkennen, als er seine Schönheit eigentlich erst durch sein eigenes Abbild erkennt. Zusammenfassend lässt sich also kurz und knapp sagen, dass Wilde mit „Das Bildnis des Dorian Gray“ einen spannenden und noch immer hochaktuellen Roman verfasst hat.